Wie altern wir künftig in Würde?

Wie altern wir künftig in Würde?

Eine Kultur des gegenseitigen Vertrauens soll die Betreuungslücke gerade in der Altersarbeit schliessen. Über Standes- und Gärtchendenken hinweg. Eine Herausforderung, die freiwilliges Umdenken und gesetzliche Anreize braucht. Und vor allem: Freiwillige. Beobachtungen zu aktuellen Initiativen für ein Altern in Würde.
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Wie altern wir künftig in Würde?

Eine Kultur des gegenseitigen Vertrauens soll die Betreuungslücke gerade in der Altersarbeit schliessen. Über Standes- und Gärtchendenken hinweg. Eine Herausforderung, die freiwilliges Umdenken und gesetzliche Anreize braucht. Und vor allem: Freiwillige. Beobachtungen zu aktuellen Initiativen für ein Altern in Würde.

Die Zivilgesellschaft ist in einer direkten Demokratie verantwortlich für das Wohl der Mitmenschen, sie trägt Sorge. Der Hauptbeauftragte, der für die nötigen Angebote sorgen muss, ist der Staat. Doch er kommt an seine Leistungsgrenzen. So formuliert Franziska Frey-Wettstein, Präsidentin der Walder Stiftung, die Ausgangslage einer Tagung zum Thema „Altern in Würde“, die am 2. November Vertretungen aus Politik, Wissenschaft und Institutionen in Zürich versammelte.

Altern in Würde

Herbsttagung ‘Einsam entscheiden oder gemeinsam lernen – Wie können wir ein Alter in Würde erreichen?’
der Walder-Stiftung im Technopark – 02. November 2018 © Raphael Hünerfauth – http://huenerfauth.ch.

Wo sind die Freiwilligen, wenn dem Staat das Geld ausgeht?

Immer wieder werde aufgezeigt, dass eine zunehmend grösser werdende Versorgungslücke entstehe zwischen gesundheitsrelevanten Leistungen auf der einen und betreuenden Angeboten auf der anderen Seite. Im Betreuungsbereich seien die Einsatzorte der Fachkräfte vielfach nicht klar definiert, so Frey-Wettstein. Die Zusammenarbeit aller pflegenden und sozialen Akteure bedeute eine grosse Herausforderung. Sie werde nicht zuletzt aus finanziellen Gründen entscheidend sein. Das Wort „Betreuung“ werde zentral, so die Stiftungspräsidentin. Es habe mit Menschlichkeit zu tun und sei, was Menschen auszeichne und das Leben letztlich lebenswert mache.

Viele Akteure haben die Zeichen der Zeit erkannt und handeln zukunftsgerichtet, schreiben Frey-Wettstein und Andreas Raymann, Geschäftsleiter der Walder Stiftung, in einem Fachartikel im Vorgang der Tagung. Allerdings erschwerten oder verunmöglichten die heutigen Rahmenbedingungen sinnvolle Lösungen, medizinisch-pflegerische mit sozial-betreuenden Aspekten zu verbinden.

Unter anderem erweise sich das oft mangelhafte Zusammenwirken zwischen dem Gesundheitswesen und dem Sozialwesen in einem Kanton als Hindernis. Ein Silodenken habe sich etabliert, das bedürfnisgerechte Angebote erschwere oder sogar verhindere. So sei zum Beispiel bei demenzkranken Menschen in vielen Situationen vor allem Betreuungskompetenz gefragt, welche die Pflegeausbildung nicht in jedem Fall gewährleiste.

Altern in Würde: Für eine Kultur des gegenseitigen Vertrauens

Um dieses und andere Hindernisse zu beseitigen, sei mehr vernetztes Denken und Handeln gefordert, so die IG Schnittstellen, ein Verbund von Akteuren im Altersbereich. Demnach könnten Gemeinden bedarfsgerechte Lösungen gestalten. Dazu gehöre, dass sich die Menschen in der Siedlung, im Quartier und der Gemeinde vernetzten und Unterstützungsangebote entwickeln wie beanspruchen könnten. Über Nachbarn und Freiwillige seien soziale Netze zu schaffen, die zusätzliche Betreuungsleistungen erbringen und den betreuten Menschen ein verlässliches Umfeld bieten. Schliesslich seien Rahmenbedingungen zu schaffen, welche die Tätigkeit von pflegenden Angehörigen fördern und unterstützen.

Gefordert, so die IG Schnittstellen, sei eine Kultur des Gemeinsamen, Vernetzens und gegenseitigen Vertrauens. Eine Kultur, die das „Standes- und Gärtchendenken“ überwinde und das Wohl der betreuungs- und pflegebedürftigen Menschen in den Mittelpunkt stelle. Eine zentrale Voraussetzung dafür seien neue Finanzierungs- und Vergütungsmodelle, die ambulante und stationäre Leistungen ebenso zusammenbringe wie Betreuung und Pflege.

Freiwilligenarbeit braucht Anerkennung

Das Anrecht auf Betreuung im Alter soll gesetzlich verankert werden, forderte kürzlich auch die Paul Schiller Stiftung. Eine im März 2018 vorgestellte Studie zeigte dabei Handlungsbedarf in der Gesundheits- und Sozialpolitik auf. Professionelle Betreuungsarbeit brauche eine Aufwertung, die informelle mehr Anerkennung, hiess es dort.

Um die vorliegende Recherchestudie zu vertiefen, hat die Paul Schiller Stiftung mit Partnern eine Nachfolgestudie angestossen, in der es um die praxisnahe Konzipierung von «Modellen guter Betreuung im Alter» geht. Im Herbst 2019 sollen die Ergebnisse vorliegen.

Wie ein Altern in Würde in einigen Jahrzehnten also noch möglich ist, wird derzeit an verschiedener Stelle diskutiert. Allen gemein ist die Aussage, dass dies ohne informelle, freiwillige Betreuungsarbeit nicht leistbar ist. Die Freiwilligen aus den Augen und ausser Acht zu lassen, erwiese sich also als folgenreicher Fehler.

Altern in Würde

Erststudie der Paul Schiller Stiftung. Impression während der Herbsttagung ‘Einsam entscheiden oder gemeinsam lernen – Wie können wir ein Alter in Würde erreichen?’ der Walder-Stiftung im Technopark – 02. November 2018 © Raphael Hünerfauth – http://huenerfauth.ch.

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Das Anrecht auf Betreuung im Alter soll gesetzlich verankert werden, fordert die Paul Schiller Stiftung. Eine am 14. März 2018 vorgestellte Studie zeigt dabei Handlungsbedarf in der Gesundheits- und Sozialpolitik auf. Professionelle Betreuungsarbeit braucht demnach eine Aufwertung, die informelle mehr Anerkennung. Welche Rolle kann hier der sozialdiakonischen Arbeit der Kirchen zukommen?

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