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Caring Communities: Sorgende Gemeinschaften

Es gibt sie, die sich umeinander sorgenden Gemeinschaften. Ein Gegentrend zur anonymen Gesellschaft. Man hilft einander, sorgt füreinander. Soziale Angebote, die das Leben leichter machen. Caring Communities. Einsichten und Ansichten.

Quartiere werden anonymer, immer mehr Singlehaushalte und immer weniger Kinder, und wer kennt noch die Nachbarin? Beobachtungen über den gesellschaftlichen Wandel muten ernüchternd an. Und doch gibt es den Gegentrend, die kleinteilige, nahräumige, sich umeinander sorgende Gemeinschaft. Immer öfter wird diese Idee quasi institutionalisiert und mit Caring Community benannt.

Das Ziel Sorgender Gemeinschaften ist immer die Inklusion der Vergessenen.

Cornelia Coenen-Marx

Caring Communities – Sorgende Gemeinschaften

Ein Trend, der mittlerweile Eingang in grössere Untersuchungen gefunden hat. So setzt sich auch das Migros Kulturprozent mit dem Phänomen auseinander – und definiert: „Die Caring Community steht für eine Denk- und Werthaltung. Mit dieser Denkhaltung setzen Akteure der Gemeinschaft verschiedene Modelle um, mit denen sie in einer Gemeinschaft soziale Angebote schaffen und einander basierend auf einem horizontalen Miteinander zugänglich machen. Unter einem weit konzipierten Begriff von „care“ übernehmen sie dabei gesellschaftlich relevante Fragen der Sorge und Fürsorge.“

Verwendung findet der Begriff auf lokaler, kommunaler Ebene, in Schulen, Universitäten und Unternehmen und in der Entwicklungszusammenarbeit. Angesichts des „teilweise inflationären Gebrauchs“ des Begriffes der Caring Communities stelle sich die Abgrenzungsfrage, bemerken die Autorinnen Martina Schlapbach und Regula Ruflin entsprechend.

Herkunft

Woher kommt der Begriff der Sorgenden Gemeinschaft? Schlapbach und Ruflin nennen die angelsächsische, oft in kirchlichen Kreisen etablierte Tradition der „Charity“. Daneben die feministische „Care“-Bewegung als Konzept der Sozialpolitik, weiter das „Community Care“, also die Gemeinweseneinbindung erwachsener geistig beeinträchtigter Menschen.

Zweck

Was die verschiedenen Ansätze eint, so die Autorinnen, ist eine mehr oder weniger ausgeprägte Gesellschaftskritik. Ökonomisierung, Fremdenangst, Abgrenzung, Vereinsamung: all das will die Caring Community überwinden. Genauso engagiert wird das bestehende Pflegesystem diskutiert. Es geht um die Bewältigung sozialer Aufgaben, und zwar zielgruppen- und themenübergreifend. Eigenverantwortung steht als Grundprinzip an erster Stelle. Caring Communities wollen den demographischen Wandel bewältigen und beginnen damit im lokalen Kontext. Damit dies gelingt, ist es für die Aktiven wichtig, einen Wertehorizont zu teilen, so die Autorinnen.

In unserer Gesellschaft, die stark vom Wunsch nach Selbstbestimmung und Selbstoptimierung bestimmt ist, geht es um ein Gegengewicht, so die Diakonieexpertin, Pastorin und Publizistin Cornelia Coenen-Marx in einem Vortrag für das im Frühjahr erscheinende Jahrbuch Diakonie Schweiz 2019. Es gehe um wechselseitige Unterstützung und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Ziel sei immer die Inklusion der Exkludierten und Vergessenen, so Coenen-Marx. Damit das gelinge, brauche es eine Kombination von Bürgerinitiativen, kommunaler Planung und Organisationen vor Ort. Dies könnten Pflegedienste, Schulen, Handwerksbetriebe oder Unternehmen sein – und natürlich Kirchgemeinden.

Einsatzorte

Auch das Migros-Arbeitspapier zählt eine grosse Zahl verschiedener Lebensbereiche auf, die geeignet seien, um Menschen für Caring Communities zu mobilisieren. Die Generationensolidarität und die Altersarbeit gehören dazu, Nachbarschaft, Quartierentwicklung, Pflege, auch Kirche und Politik. Die Bevölkerung in ländlichen Gebieten, der Migrationskontext und ältere Menschen weisen laut Analyse dabei ein noch ungenutztes Potenzial auf. Freilich gibt es auch Kritik am CC-Ansatz selbst. Werden den Bürgerinnen und Bürgern Aufgaben überlassen, für die eigentlich der Staat aufkommen sollte?

Wenn Kirchgemeinden eine aktive Rolle als sorgende Gemeinschaft einnehmen, treten sie somit in ein Spannungsfeld ein zwischen dem Aktivieren eigener Ressourcen und dem Auffangen von Lücken der sozialen Sicherung und medizinischen Versorgung, stellt entsprechend Rahel Burckhardt in Ihrer Konzeptarbeit zum CAS Angehörigen-Support der Berner Fachhochschule fest. Burckhardt ist die Beauftragte für Freiwilligenarbeit der Berner Reformierten Kirche. Ein wacher Blick sei also nötig, ausserdem das Eintreten für gute staatliche Rahmenbedingungen, innerhalb derer sorgende Gemeinschaften ihren Teil beitragen.

Aufbau

Eine offene Frage bleibt, wie gross die „klassische“ Caring Community eigentlich ist. Dass die Kleinräumigkeit ein zentrales Kriterium ist, scheint laut der Migros-Untersuchung nicht unbedingt der Fall zu sein. Konsens herrscht hingegen, dass die horizontale Ebene im Vordergrund steht, dass die Gemeinschaften also die Sichtweisen top-down und bottom-up zwingend vereinen müssen. Entsprechend plädierten die Teilnehmenden eines Workshops des Kulturprozents laut Bericht dafür, Caring Communities in erster Linie als Wertehaltung zu betrachten. Dazu passt, dass sich das Konzept im ursprünglichen Sinn stark an die Idee der unbezahlten Freiwilligenarbeit koppelt. Auch die Nähe zu Diakonischen Gemeinschaften wird diskutiert.

Unter dem Ansatz der «Sorgenden Gemeinschaft» (caring communitiy) entstehen in vielen Gemeinden, Städten und Quartieren Bewegungen mit dem Ziel einer neuen Sorgekultur im Nahraum, in der das Wohl aller im Zentrum steht, in der man füreinander sorgt, einander umsorgt und gemeinsam Verantwortung trägt.

Diakonie Schweiz

Rezeption – wer kennt Sorgende Gemeinschaften…

«Eine Caring Community ist eine gesunde Gemeinschaft». So lautete eine Antwort auf eine Strassenbefragung, die Socialdesign Anfang 2018 im Auftrag des Migros Kulturprozents durchführte. Gleichzeitig wurden Interviews mit Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik durchgeführt.

Die Caring Communities oder Sorgenden Gemeinschaften sind auf der Strasse weitgehend unbekannt, lautete ein Ergebnis. Die folgende Erklärung hätte jedoch zu einem Aha-Erlebnis geführt, so Socialdesign. Die Fachpersonen hingegen setzten die Gemeinschaften unter anderem als Indikator für Gesundheit, während auf der Strasse hinter dem Begriff eine religiöse Bewegung vermutet wurde – und gefragt, warum der englische Begriff genutzt werden muss.

Nachbarschaftshilfe, Quartierentwicklung, Wissensaustausch und interkultureller Austausch standen als Ziele in der Strassenbefragung an erster Stelle, Eigenverantwortung und Vertrauen als Werte. Die Expertinnen und Experten sahen die Gemeinschaften als Gegenpol zur Dienstleistungsgesellschaft und betonten den Wert der Freiwilligkeit.

Welchen Herausforderungen stehen die Sorgenden Gemeinschaften gegenüber? Keine Zeit, lautete eine häufige Antwort auf der Strasse, genauso wie die Tatsache, dass durch Familie, Spitex oder bezahlte Haushaltshilfen kein Bedarf bestünde. Die Fachpersonen hingegen äusserten negative Assoziationen mit dem Begriff der Sorge sowie gegenüber dem englischen Begriffsgebrauch – und sie fragten nach der Differenzierung zwischen Gemeinschaft und Genossenschaft.

…und was ist den Mitgliedern wichtig?

Was sind die Voraussetzungen, damit solche Gemeinschaften funktionieren und wie erleben die Mitglieder das Miteinander? Diesen Fragen stellte sich das “Tavolata” – Netzwerk für selbstorganisierte Tischgemeinschaften in einem von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW durchgeführten Workshop und in einem Fragebogen, beides geleitet vom Entwicklungspsychologen Christoph Steinebach, Direktor des Instituts für Angewandte Psychologie.

Das Miteinander – durchaus mit bestimmten Regeln – ist demnach den Teilnehmenden wichtig, genauso wie die Möglichkeit, neue Kontakte zu knüpfen. Weniger Zuspruch fand hingegen die Aussagen, die Gemeinschaft helfe, sich im Quartier wohler zu fühlen. Genauso wenig scheinen sie zu bewirken, dass die Teilnehmenden anderen im Alltag mehr helfen.

Die Gruppe lebe vom «Wir»-Gefühl mehr als von Regeln und Rollen, fasst Steinebach die Befragung zusammen. Freude, Vertrauen, Toleranz und Dialog seien Basis dieses Wir-Gefühls. Damit seien auch die Grundlagen gelegt, um Probleme gemeinsam zu meistern. Der Transfer in den Alltag habe schliesslich doch auch eine Bedeutung für das allgemeine Wohlbefinden.

Ausblick

Damit sich das Konzept der Caring Communities durchsetzen kann, müsse ein Bewusstsein für die Relevanz in der Gesellschaft geschaffen werden. Die öffentliche Hand brauche es genauso wie Fachpersonen. Begegnungs- und Lernräume seien ein Bedarf.

Die Untersuchung des Migros Kulturprozents ist einer von mehreren Ansätzen aus unterschiedlicher Richtung, sich des Themas anzunehmen. Genau diesem Bedarf ging die nationale Tagung zu Caring Communities und Palliative Care der Diakonie Schweiz nach, die im September 2018 rund 80 Fachpersonen in Zürich versammelte. Angesichts des demografischen Wandels brauche es eine Caring Community, die um die Grundpfeiler informeller Freiwilligenarbeit und sozialpolitischer Absicherung weiss, so die Tagung. Die Referentinnen und Referenten erinnerten am Beispiel der Palliative Care daran, dass die Kirchen ihren Grundauftrag in der Begleitung von Menschen nicht vergessen sollten.

Unter dem Titel “Gemeinsam Sorge tragen” organisierte die Diakonie Schweiz im Herbst 2019 eine Fachtagung zu den Potenzialen von Diakonie und Kirche für sorgende Gemeinschaften. Wenn die Grenzen der sozialstaatlichen Leistungen sichtbar und solidarische Strukturen in der Gesellschaft schwächer werden, so steigt die Bedeutung nahräumlicher Unterstützungsnetzwerke wie etwa der Sorgenden Gemeinschaften, hiess es dazu. Die Tagung machte ihren Ansatz zum Thema und fragte danach, wie sich Kirchgemeinden und diakonisch Engagierte darin einbringen können.

 

Beiträge zu Sorgenden Gemeinschaften

Lesen Sie hier Magazinbeiträge und Nachrichten rund um das Thema Caring Communities / Sorgende Gemeinschaften aus unserem Newsfeed und dem elektronischen Magazin der Diakonie Schweiz.

Netzwerk präsentiert Caring Communities Thesen

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Was Caring Communities auszeichnet, wie sie durch ihr Verständnis von Sorge und Sorgearbeit zu Keimzellen gesellschaftlicher Transformation werden und an welchen Leitsätzen sie sich dabei orientieren, thematisieren die Caring Communities Thesen des Netzwerks Caring Communities.

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Toolbox Sorgende Gemeinschaften erschienen

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Ein Forschungsteam aus der Schweiz und Deutschland hat eine umfangreiche Sammlung für Sorgende Gemeinschaften veröffentlicht. Es fasst Erfahrungen aus dem Aufbau mehrerer solcher Gemeinschaften zusammen.