Das Leben wieder eigenverantwortlich gestalten

Das Leben wieder eigenverantwortlich gestalten

Die Stiftung Bild bietet mit ihren zwei Vereinen in St. Gallen Integrationsprogramme für Langzeitarbeitslose an. Auch Menschen, die im ersten Arbeitsmarkt nur schwer Fuss fassen können, sind angesprochen. Die Arbeit ist niederschwellig und bedürfnisorientiert organisiert. Sozialdiakon Daniel Menzi hat im Bildungsurlaub mitgearbeitet.

A. ist ca. 30 Jahre alt. Er ist aufgeschlossen, freundlich, hilfsbereit und schätzt eine gute Kameradschaft. Mit fünf Jahren musste er mit seiner Mutter von der Osttürkei in die Schweiz fliehen. Sein Vater wurde in seiner Heimat ermordet. Auf diesem Hintergrund verlief seine Jugendzeit nicht optimal. So verbrachte er seine letzten Schuljahre in einer Erziehungseinrichtung, da er straffällig geworden war. Er beschrieb zwar diese Zeit als eine gute und erinnerungswürdige. Als Erwachsener wurde er jedoch wieder straffällig und musste ins Gefängnis.

Kein guter Start in die Gesellschaft. Wie A. geht es vielen, und viele sind mit sich allein. Zwei diakonische Integrationsprogramme wollen dies in St. Gallen ändern. Die Projekte sind aus der diakonischen Arbeit der Kirche Bild St. Gallen entstanden, einer baptistischen Gemeinde im Quartier Bild. Mit der Stiftung Bild hat diese ein organisatorisches Dach für diese und andere sozialdiakonische Projekte geschaffen. Die Stiftung verfolgt den Zweck, hilfesuchende Menschen zu betreuen, zu beraten und therapeutische Massnahmen zu organisieren. Unter der Vision „Das Beste für St. Gallen und Umgebung“ arbeitet die Kirche Bild mit anderen Freikirchen und zwei evangelischen Landeskirchen zusammen.

Der Verein läbeplus ist ein sozialdiakonisches Unternehmen der Stiftung Bild. Es hilft Menschen zurück in den ersten Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft. Angesprochen sind Menschen, die aus sozialen, psychischen oder körperlichen Gründen kaum Chancen haben, auf dem ersten Arbeitsmarkt eine Stelle zu finden. In ihren zahlreichen Fachbereichen im primären Arbeitsmarkt finden Menschen aus der Sozialhilfe, dem RAV oder IV Arbeit auf Abruf.

Die VIAS-Sozialwerkstatt beschäftigt in den Fachbereichen Schafwollverarbeitung, Kunststoff-Recycling und Kleintransporte langzeitarbeitslose Menschen, die im ersten oder zweiten Arbeitsmarkt wieder Fuss fassen möchten. Sie werden dabei unterstützt, in den Berufsalltag zurückzufinden.

N. war 24 Jahre alt, fand wegen psychischen Einschränkungen keine Lehre und versuchte zuerst bei zwei anderen begleiteten Sozialwerkstätten eine Arbeitsintegration. Leider sind diese gescheitert. Doch Vias wagte den Versuch und gab N. den nötigen Freiraum in der Arbeitsbegleitung.

VIAS bietet Menschen Arbeitsintegrationsprogramme an“, so Daniel Menzi, Sozialdiakon in der Reformierten Kirche St. Gallen Centrum, der im Rahmen eines Bildungsurlaubes einen Monat in den Projekten mitgearbeitet hat.

„Nach Absprache mit Sozialämtern, RAV, Beistandschaften und den Betroffenen übernehmen sie Leistungsaufträge und fördern und befähigen Menschen im individuellen Jobcoaching eingebunden interdisziplinär mit Fachpersonen, sodass die Menschen die Wiedereingliederung zielorientiert schaffen“, so Daniel Menzi.

„Sie arbeiten individuell mit den Personen niederschwellig und bedürfnisorientiert. Bei jemanden kann dies zu Beginn die Zielsetzung einer Tagesstruktur im Alltag und Werkstatt bedeuten. Bei anderen kann dies innerhalb läbeplus bereits eine regelmässige Arbeit im Reinigungs-, Umzugs oder Gartenbauteam bedeuten. Z.B im Rahmen von arbeitsmarktlichen Massnahmen des RAV, damit die Alltagsbewältigung und der Einstieg in den Arbeitsprozess gelingt. Ebenso besteht für benachteiligte Jugendliche bei läbeplus die Möglichkeit eine Lehre absolvieren zu können.“

Zuerst konnte N. den Vorgaben nicht nachkommen, aber er wollte weiter an der Zielvereinbarung arbeiten, weil er sich in der Gruppe und Arbeit wohl fühlte. Da zeigte sich allmählich, dass er pflichtbewusster seine Arbeitsaufträge erledigte und sich in der Gruppe öffnen konnte. Sein Leben mache wieder Sinn, war das Fazit für N.

In der leistungs- und gewinnorientierten Arbeitswelt finden nur noch die gut qualifizierten und voll leistungsfähigen Menschen Arbeit, heisst es im Selbstbeschrieb von läbeplus. Dies wolle man ändern.

Das Projekt schafft Arbeitsplätze mit geringen Anforderungen. Ein fachlich kompetentes Team fördere und fordere die Arbeitsuchenden. Es berate und coache sie und unterstütze bei den Kontakten mit Arbeitgebern und Ämtern. Ziel sei, dass Arbeitslose wieder eine Tätigkeit ausüben könnten, die es ihnen erlaube, ihr Leben selbständig, finanziell unabhängig und eigenverantwortlich zu gestalten.

Auch die Vias Sozialwerkstatt solle allen arbeitswilligen Mitarbeitenden eine Chance geben, dort zu arbeiten. Es gebe keine Ausgrenzung aufgrund mangelnder Qualifikation, sprachlicher Barrieren, körperlicher Tüchtigkeit oder sozialer Verhältnisse, heisst es dazu.

Um die Arbeitnehmenden bei der beruflichen und sozialen Integration zu unterstützen, biete das Unternehmen Deutschkurse, ein Jobcoaching sowie Kulturkurse an. Das Angebot der Vias Sozialwerkstatt richtet sich an Sozialhilfe- und IV-Bezüger sowie Migrantinnen und Migranten.

A. erhielt nach der Entlassung aus dem Gefängnis einen Bewährungshelfer, der Vias für eine arbeitsintegrative Massnahme anfragte. Mit Vias formulierten sie eine Arbeits- und Zielvereinbarung. Er hält sich daran und übt mit seiner freundlichen Persönlichkeit ein konstruktives Arbeitsklima aus. Eine kürzliche Begebenheit zeigt seine soziale Verantwortung. Bei einem externen Gütertransportauftrag mit dem Chauffeur bekam er ein Trinkgeld. Als ihm der Chauffeur dieses am Abend geben will, sagte er: Es ginge ihm so gut, dass Vias dieses als Spende einem flüchtenden Kind geben solle.

„Aus den vier Wochen Einsatz Bildungsurlaub nehme ich ein neues Verständnis für die schwächsten der Gesellschaft und ein vertieftes und praxisbezogenes diakonisches Handeln mit“, so Daniel Menzi. „Ich nehme wahr, dass diakonische Integrationsinitiativen wie Vias, ohne zusätzlich finanzielle Hilfe von der Kirche und privaten Gönnern einen schweren Stand haben, zu bestehen. Daraus nehme ich aber gleichzeitig auch ein stilles Vertrauen auf Gott hin mit.“