Demokratie im Schnelldurchlauf: Wie junge Menschen online erreicht werden

Demokratie im Schnelldurchlauf: Wie junge Menschen online erreicht werden

Soziale Medien prägen das politische Denken junger Menschen wie nie zuvor. Eine neue Studie zeigt, wie Demokratie heute digital vermittelt werden muss – und welche Rolle die Sozialdiakonie dabei spielen kann.

Jugendliche und junge Erwachsene gelten als digital Natives, die mit dem Smartphone und sozialen Netzwerken aufwachsen. Bereits 98 % der 12- bis 19-Jährigen in Deutschland besitzen ein eigenes Smartphone, 88 % nutzen täglich das Internet. Messenger- und Social-Media-Dienste dominieren ihre Kommunikation: WhatsApp wird von 94 % der Jugendlichen genutzt, Instagram von 62 % und TikTok von 59 %. Diese Plattformen sind für junge Menschen zentrale Informations- und Interaktionsräume, auch in politischen Fragen. Eine neue Studie des Progressiven Zentrums in Kooperation mit der Bertelsmann Stiftung – „How to Sell Democracy Online (Fast)“ (September 2025) – bestätigt, dass Social Media längst essenziell ist, um die junge Generation politisch anzusprechen. Ohne Präsenz auf Instagram, TikTok & Co. erreichen politische Akteurinnen und Akteure junge Menschen heute kaum noch. Drei von vier jungen Menschen informieren sich über politische Themen überwiegend auf sozialen Kanälen. Dort begegnen sie Nachrichten und Debatten meist in Form kurzer Videos oder Posts, die algorithmisch in ihren Feeds auftauchen. Klassische Nachrichtenmedien wie Zeitung oder TV hingegen spielen nur noch für einen Teil der Jugend eine Rolle als Informationsquelle.

Auffällig dabei: Viele Jugendliche vertrauen den neuen Vermittlerfiguren der digitalen Welt mehr als etablierten Institutionen. Persönlichkeiten auf YouTube, Instagram oder TikTok, die politische Inhalte vermitteln, geniessen bei jungen Userinnen und Usern oft Glaubwürdigkeit, weil sie als nahbar und „echt“ wahrgenommen werden. Diese Entwicklung deckt sich mit internationalen Beobachtungen: Jüngere Zielgruppen verlassen sich weit häufiger auf Social Media als Nachrichtenquelle als ältere. Influencerinnen und Influencer haben dabei grossen Einfluss auf die Meinungsbildung der Jugend, denn viele von ihnen vertrauen eher den Stimmen, die ihre Lebenswelt und Werte teilen, als den klassischen Medien. So warnen Beobachterinnen und Beobachter vor wachsenden Echokammern und dem Risiko von Desinformation, da Algorithmen emotionale, polarisierende Inhalte belohnen. Zugleich bieten die Plattformen Chancen für innovative politische Bildung, denn dort, wo die junge Generation ist, lässt sich niedrigschwellig ansprechen, aktivieren und begleiten.

Was politische Kurzvideos erfolgreich macht – und was nicht

Angesichts dieser Realität stellt sich die Frage: Wie lässt sich „Demokratie verkaufen“ in der Sprache und Logik des Netzes? Die Studie „How to Sell Democracy Online (Fast)“ hat hierzu umfangreiche Daten erhoben. Analysiert wurden rund 31’000 politische Kurzvideos auf TikTok und Instagram von Juni bis Dezember 2024 – darunter Beiträge von Parteien, Jugendorganisationen, Politikerinnen und Politikern sowie politikbezogenen Influencerinnen und Influencern. Ergänzend erfolgten eine repräsentative Befragung junger Menschen (16–27 Jahre) sowie Fokusgruppen und ein Experiment zur Attraktivität verschiedener Videostile. Die Ergebnisse zeigen deutlich: Instagram und TikTok haben sich als wichtigste Kontaktfläche zwischen Jugend und Politik etabliert. Wenn junge Menschen ihr Smartphone in die Hand nehmen, öffnen sie am häufigsten Messenger und Social Apps – und dort wollen sie auch politisch abgeholt werden. Entsprechend sehen viele Social Media als den Ort, an dem sie politische Informationen aufnehmen – deutlich vor Familie, Schule oder Freundeskreis. Eine klare Mehrheit der Befragten meint sogar, Plattformen wie Instagram und TikTok seien ein guter Ort, um ihre Generation zu erreichen. Immerhin die Hälfte schätzt dort die niedrigschwelligen Kontaktmöglichkeiten – man kann spontan Fragen stellen oder verschiedene Sichtweisen kennenlernen. Allerdings bleibt die Beteiligung oft passiv: Nur eine Minderheit beteiligt sich selbst an Online-Diskussionen, und nur wenige liken oder kommentieren politische Posts. Politik wird von den meisten Jungen also eher konsumiert als diskutiert.

Wovon hängt es ab, ob ein politisches Video in den sozialen Medien bei der Jugend Anklang findet? Die Inhaltsanalyse liefert einige Antworten. Zunächst zur Themenwahl: Ausgerechnet jene Inhalte, die junge Leute unmittelbar betreffen, kommen im aktuellen Polit-Content zu kurz. Über ein Drittel aller untersuchten Clips drehte sich im zweiten Halbjahr 2024 um den politischen Betrieb selbst – etwa Regierungsarbeit oder Wahlkampf. Nur knapp ein Viertel der Videos stellte einen konkreten Bezug zu jungen Menschen oder kommenden Generationen her. Themen wie Bildung, die junge Leute direkt tangieren, fristen ein Nischendasein. Wo sie aufgegriffen wurden, geschah dies zwar überdurchschnittlich oft mit Jugendbezug, doch solche Beiträge erzielten im Schnitt deutlich geringere Reichweite. Demgegenüber fanden Videos zum polarisierenden Thema Migration deutlich mehr Zuschauerinteresse. Auch Beiträge zu Wahlen oder völlig unpolitische Clips steigerten die View-Zahlen spürbar. Das begleitende Präferenz-Experiment zeigte jedoch: Reine Wahlwerbung oder Videos ohne erkennbaren politischen Inhalt werden von jungen Nutzerinnen und Nutzern eher abgelehnt – während sachlich informierende Clips über Migration gut ankamen. Umgekehrt gelten Sozial- und Umweltthemen in der Logik der Plattformen als Reichweiten-Verlierer. Mit anderen Worten: Die Algorithmen belohnen zugespitzte, emotional aufgeladene Themen stärker als nüchterne Sachpolitik. Gerade Klimawandel und soziale Fragen bewegen zwar viele junge Menschen, doch sie stossen in der schnelllebigen Kurzvideo-Logik offenbar auf weniger spontanes Interesse – eine Herausforderung für die politische Bildung.

Mindestens so wichtig wie das Thema ist der Stil der Ansprache. Hier offenbaren sich gegenläufige Trends: Die Mehrheit der politischen Clips setzt auf positive Selbstdarstellung – man zeigt sich von der besten Seite, wirbt für eigene Erfolge. Gleichzeitig enthält gut ein Drittel der Videos Angriffe auf politische Gegnerinnen und Gegner, von sachlicher Kritik bis zur Polemik. Vor allem auf TikTok wird gerne ausgeteilt. Provokation zieht Aufmerksamkeit – das bestätigen die Zahlen: Videos mit persönlichen Angriffen werden deutlich häufiger angeschaut als solche ohne Konfrontation. Doch Reichweite ist nicht gleich Zustimmung. Die begleitende Umfrage zeigt, dass junge Zuschauerinnen und Zuschauer diese verbalen Angriffe mehrheitlich ablehnend betrachten. Sticheleien und persönliches Herabsetzen kommen bei ihnen nicht gut an – sie wünschen sich vielmehr einen respektvollen Ton. Selbst Videos voller Eigenlob, also reine Image-Selbstdarstellungen, stehen Jugendliche kritisch gegenüber. Die Botschaft ist klar: Wer die Lebensrealität der Jugend sichtbar einbindet und auf Augenhöhe spricht, hat bessere Chancen, ihr Ohr online zu gewinnen.

Auch formale Video-Merkmale beeinflussen den Erfolg. Die Studie bestätigt, was viele Influencerinnen und Influencer längst intuitiv umsetzen: Selfie-Videos, spontan mit der Handy-Kamera im Hochformat aufgenommen, funktionieren überraschend gut. Sie wirken authentischer und direkter als aufwendig produzierte Inhalte. Weniger gut performten dagegen Infografiken: Sie schnitten insgesamt in der Reichweite schlechter ab. Interessanter Widerspruch: Obwohl viele Jugendliche angeben, sich mehr Zahlen und Statistiken zu wünschen, hinterlassen reine Infografik-Beiträge bei ihnen keinen starken Eindruck. Offenbar müssen Fakten sehr kreativ und erzählerisch verpackt sein, um im Kurzvideo-Format zu zünden. Ein Trend aus dem Unterhaltungsteil von TikTok – das Tanzen – hat politisch wenig Erfolg: Nur sehr wenige Politik-Videos enthielten Tanzszenen, meist von Jugendparteien oder Influencerinnen und Influencern inszeniert. Im Experiment zeigte sich, dass Tanzeinlagen die Bereitschaft, ein solches Video weiterzuschauen, sogar deutlich senken. Hier gilt: Inhalte sollten jugendgerecht, aber nicht anbiedernd sein.

Wichtig ist zudem der Kommunikationston. Die meisten politischen Akteurinnen und Akteure sprachen ihr Online-Publikum direkt mit „Du“ oder „Ihr“ an – das wirkt persönlicher. Aufrufe zum Handeln enthielten gut 40 % der Videos. Hier zeigte sich ein Unterschied zwischen Online- und Offline-Fokus: Die häufigsten Calls-to-Action zielten aufs Teilen, Liken oder Kommentieren – doch diese rein digitalen Handlungsappelle minderten eher die Reichweite. Aufrufe zu Offline-Aktionen – etwa zur Teilnahme an einer Demo – schnitten besser ab. Insgesamt gilt: Politik auf TikTok und Instagram muss nahbar, konkret und lebensweltlich auftreten, um die junge Generation nicht zu verlieren.

Zwischen Trend und Tradition: Jugend und Politik im Länder-Vergleich

Der digitale Umbruch in der politischen Kommunikation vollzieht sich in ganz Europa, doch jedes Land bringt eigene Voraussetzungen mit. Schweiz, Deutschland, Österreich und Frankreich – alle stehen vor ähnlichen Fragen: Wie erreichen wir junge Leute? Wie steht es um ihr Vertrauen in Politik? Und welche Rolle spielen soziale Medien dabei? Ein Blick auf aktuelle Daten zeigt sowohl Parallelen als auch Unterschiede.

In der Schweiz prägt die direkte Demokratie seit jeher die politische Kultur. Junge Schweizerinnen und Schweizer wachsen mit Volksabstimmungen als normalem Beteiligungsinstrument auf. Tatsächlich wissen die meisten um ihre Partizipationsmöglichkeiten – gerade das Abstimmen empfinden viele als greifbare Chance zur Mitbestimmung. Dennoch ist in den letzten Jahren eine Ernüchterung feststellbar. Befragungen zeigen, dass sich ein sehr hoher Anteil der unter 35-Jährigen machtlos fühlt, was die Zukunftsgestaltung der Gesellschaft betrifft. Diese Ohnmachtsgefühle korrespondieren mit einem Rückgang des politischen Engagements: Seit 2017 bewerten Schweizer Jugendliche ihre eigene politische Aktivität nicht mehr so hoch. Der Trend zu mehr Beteiligung ist gebrochen; nur ein harter Kern bleibt politisch aktiv, während die Mehrheit sich – zumindest vorerst – zurückzieht. Diese Baisse hat verschiedene Gründe: Nach den Klimastreiks 2018/19 und der Mobilisierung zu Beginn der Pandemie scheint eine gewisse Müdigkeit einzusetzen. Hinzu kommt ein differenziertes Vertrauensprofil der Jugend: Schweizer Jugendliche vertrauen wissenschaftlichen Institutionen sowie staatlichen Stellen mehrheitlich, während sie gegenüber Parteien, Politikerinnen und Politikern sowie Medien skeptisch sind. Vertrauen gilt vor allem dort, wo stabile, kontrollierte Rahmen bestehen – dynamische Akteurinnen und Akteure müssen es sich erst verdienen. Gleichzeitig stellen Jugendliche ihrer politischen Bildung in der Schule kein gutes Zeugnis aus: Viele finden, sie seien zu wenig auf die Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen vorbereitet worden. Hier besteht Handlungsbedarf, um kommende Stimmbürgerinnen und Stimmbürger fit für die direkte Demokratie zu machen.

Auch in Deutschland ist das Bild zwiespältig. Einerseits gibt es eine politisch engagierte Jugend-Subkultur – man denke an die Fridays-for-Future-Bewegung, an Jugendorganisationen der Parteien oder erfolgreiche Politik-Influencerinnen und Influencer mit Millionenpublikum. Andererseits fühlen sich viele junge Menschen von der etablierten Politik nicht ernst genommen. Studien zeigen: Nur eine Minderheit der 12- bis 25-Jährigen hat Vertrauen in Parteien, und die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie ist rückläufig. Bei Wahlen profitieren davon oft die politischen Ränder. In Frankreich etwa ist die rechtspopulistische Rassemblement National unter den Unter-35-Jährigen stärkste Kraft geworden, während in Deutschland die AfD bei jungen Wählerinnen und Wählern deutlich zulegen konnte. Analysen führen dies neben sozialen Sorgen insbesondere auf die Social-Media-Strategien der Ränder zurück. Rechte Parteien betreiben sehr erfolgreiche Jugendansprache auf den Plattformen; Spitzenfiguren erreichen dort enorme Reichweiten und setzen Themen emotional zugespitzt. Die etablierten Kräfte hinken hinterher; sie wirken online häufig abstrakt, technisch oder altbacken, während Populistinnen und Populisten einfache, identitätsnahe Narrative anbieten. In Österreich wiederum diagnostizieren Jugendbefragungen eine ausgeprägte Repräsentationslücke: Viele 16- bis 26-Jährige fühlen sich im Parlament nicht gut vertreten und glauben, ihre Anliegen würden bei Entscheidungen kaum berücksichtigt. Trotz dieser Skepsis halten die meisten jungen Menschen die Demokratie weiterhin für die beste Staatsform – man glaubt an das Ideal, hadert aber mit der Umsetzung.

Frankreich steht exemplarisch für diese Diskrepanz. Das politische System ist stark präsidentiell und zentralistisch geprägt; viele junge Französinnen und Franzosen fühlen sich davon wenig angesprochen. Die Wahlbeteiligung der unter 25-Jährigen ist traditionell niedrig; Protest auf der Strasse ist oft das bevorzugte Ventil. Zugleich finden extreme Parteien regen Zulauf unter jungen Wählerinnen und Wählern – neben dem rechten Lager auch das linke Spektrum. Das zeigt: Polarisierung ersetzt für manche die verloren gegangene Bindung an die Mitte. Frankreichs politische Kommunikation war schon immer kämpferisch, doch im digitalen Zeitalter verlagern sich die Gefechte auf Plattformen wie X und YouTube. Der Dialogversuch der etablierten Politik mit der Jugend – etwa über Interviews mit bekannten Creators – stösst nicht immer auf offene Ohren. Die Distanz bleibt gross. Gleichwohl gibt es grenzüberschreitende Hoffnung: Viele junge Europäerinnen und Europäer setzen auf Solidarität zwischen den Ländern und stehen der europäischen Idee positiv gegenüber. Allerdings erkennen sie zugleich die Defizite – nicht wenige meinen, dass europäische und nationale Institutionen zu wenig Beteiligung ermöglichen. Hier wie in den Nationalstaaten wächst der Druck, neue Wege der Mitbestimmung zu eröffnen, die insbesondere die digitale Sphäre einschliessen.

Sozialdiakonie und digitale Demokratiebildung: Aufgaben in der Schweiz

Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich die Frage: Was kann die Sozialdiakonie tun, um junge Menschen auf dem Weg zu mündigen Demokratinnen und Demokraten zu begleiten? Als Teil der Kirche nimmt die Sozialdiakonie in der Schweiz eine vermittelnde Rolle zwischen Individuum und Gesellschaft ein. Diakonische Fachpersonen arbeiten oft mit Jugendlichen – in Kirchgemeinden, offenen Jugendtreffs, Bildungsprojekten oder der Schulsozialarbeit. Sie kennen die Lebenswelten junger Menschen und geniessen in vielen Gemeinden Vertrauen. Dieses Vertrauenspotenzial ist ein wertvolles Gut in Zeiten, in denen viele Junge skeptisch gegenüber politischen Akteurinnen und Akteuren sind. Sozialdiakonische Arbeit kann junge Menschen niedrigschwellig an soziale und politische Themen heranführen, ohne parteipolitische Agenda, dafür mit Werteorientierung und Empathie. Gerade in der digital geprägten Jugendkultur sind neue Ansätze gefragt.

Digitale Demokratiebildung heisst zum einen, Jugendlichen die Kompetenz zu vermitteln, sich in der Online-Welt kritisch und verantwortungsvoll zu bewegen. Diakonische Träger – etwa kirchliche Jugendwerke – können Workshops und Projekte zur Medienkompetenz anbieten: Wie erkenne ich Falschinformationen? Wie gehe ich mit Hasskommentaren um? Wie kann ich meine Meinung online ausdrücken, ohne andere zu verletzen? Solche Fragen gehören heute zur politischen Bildung. Hier kann die Sozialdiakonie ansetzen – zum Beispiel in Kooperation mit Schulen und Bibliotheken digitale Werkstätten einrichten, in denen junge Leute spielerisch lernen, Algorithmen zu verstehen, Diskussionen respektvoll zu führen oder eigene kleine Kampagnen zu starten. Die Kirche hat den Vorteil, unabhängig vom Staat agieren zu können und wertorientierte Fragen (Gerechtigkeit, Würde, Gemeinsinn) einzubringen, ohne gleich als Teil des politischen Systems abgestempelt zu werden.

Zum anderen bedeutet digitale Demokratiebildung, den Jugendlichen praktische Erfahrungen von Beteiligung zu ermöglichen. Hier kann die Sozialdiakonie an vorhandene Initiativen anknüpfen. In der Schweiz gibt es Projekte, in denen Jugendliche online Ideen für ihre Gemeinde einreichen, ebenso lokale Jugendforen oder Schülerparlamente. Diakonische Institutionen können solche Ansätze unterstützen, indem sie Räume, Begleitung und Öffentlichkeitsarbeit bereitstellen. Beispielsweise könnten Kirchgemeinden Jugendräte einrichten, die eigene Projekte auf die Beine stellen – vom Umweltgarten bis zur Diskussionsrunde mit Lokalpolitik. Wichtig ist, dass Jugendliche erfahren: Meine Stimme zählt, ich kann etwas bewegen. Wenn viele junge Menschen glauben, mit politischer Beteiligung nichts bewirken zu können, dann muss genau hier gegengesteuert werden. Jede erfolgreich umgesetzte Jugendinitiative – mag sie noch so klein sein – widerlegt das Gefühl der Ohnmacht. Diakonische Fachpersonen können als Mutmacherinnen und Mutmacher auftreten, die junge Leute befähigen, eigene Anliegen zu formulieren und Schritt für Schritt umzusetzen. Das Motto lautet: Hilfe zur Selbstwirksamkeit.

Ein weiteres Feld ist die Sprache und Tonalität in der politischen Kommunikation. Die Untersuchung hat gezeigt, wie sehr junge Menschen Ehrlichkeit, Verständlichkeit und Menschlichkeit in der Ansprache schätzen. Politikerinnen und Politiker, die steif und unnahbar wirken, verlieren online schnell den Zugang. Sozialdiakonische Jugendarbeit kann hier Übersetzungsarbeit leisten: Sie kennt die Sprache der Jugend und zugleich die Werte der Demokratie. In Workshops oder Begegnungen kann man Politikerinnen und Politiker mit Jugendlichen an einen Tisch – oder in ein Online-Gespräch – holen, moderiert und begleitet von Jugendarbeitenden. Solche Dialogformate bauen Vorurteile ab: Junge Menschen erleben Verantwortliche als Menschen, während Entscheidungstragende direkt Rückmeldungen von der Jugend bekommen. Das fördert gegenseitiges Verständnis und Vertrauen. Die Kirchen können zudem öffentlich eine Stimme sein, die zur Versachlichung und Verständigung mahnt – gewissermassen Salz in der oft überhitzten digitalen Suppe.

Nicht zuletzt gehört zur digitalen Demokratiebildung die Förderung von Zivilcourage und Solidarität im Netz. Sozialdiakonisch tätige Institutionen – von der Familienarbeit bis zur Gassenarbeit – erleben die Nöte der Jugend unmittelbar. Sie können junge Menschen ermutigen, füreinander einzustehen: gegen Mobbing, gegen Ausgrenzung, gegen Rassismus. In sozialen Medien bedeutet das zum Beispiel, dass Jugendliche lernen, Position zu beziehen, aber ohne Hass. Denkbar sind Peer-Group-Schulungen, bei denen technikaffine Jugendliche aus Kirchgemeinden selbst zu Multiplikatorinnen und Multiplikatoren werden und ihren Altersgenossinnen und Altersgenossen zeigen, wie man online fair diskutiert oder gemeinsam eine Petition startet. Solche Erfahrungen stärken den Demokratie-Muskel der jungen Generation.

Ausblick: Demokratie stärken – analog und digital

Die Ausgangsfrage lautete: How to Sell Democracy Online (Fast)? Doch Demokratiebildung ist kein schnelles Produkt, sondern ein stetiger Prozess. Junge Menschen tummeln sich zwar auf schnellen Plattformen – doch sie suchen dort nach Sinn, nach Orientierung und Gemeinschaft, nicht bloss nach dem nächsten Kick. Die Studie liefert wertvolle Hinweise: Politik muss authentisch, nahbar und relevant vermittelt werden, auch in 30 Sekunden. Allein durch trendige Clips wird man Vertrauen aber nicht zurückgewinnen. Es braucht echten Dialog mit der Jugend – online wie offline. Hier können diakonische Träger einen entscheidenden Beitrag leisten, gerade in der Schweiz mit ihrer föderalen, bürgernahen Tradition. Sozialdiakonie heisst übersetzt nichts anderes als Dienst am Mitmenschen in der Gesellschaft. Junge Menschen, die sich abwenden oder verzweifeln, brauchen solche dienende Begleitung: jemand, der zuhört, der befähigt, der die Stimme leiht, bis die eigene stark genug ist.

Die aktuelle Lage bietet Anlass zur Sorge – niedriges Vertrauen, Rückzug ins Private, Radikalisierungstendenzen –, aber sie birgt auch Gestaltungschancen. Noch nie standen so viele Werkzeuge zur Verfügung, um Menschen zusammenzubringen – über Distanzen, Generationen und Milieus hinweg. Die Kirche und ihre Diakonie können diese Werkzeuge nutzen, um Brücken zu bauen: zwischen Jugendkultur und politischem System, zwischen digitaler und analoger Sphäre, zwischen individueller Sinnsuche und gemeinwohlorientierter Verantwortung. Praktisch heisst das für diakonische Institutionen, politische Bildung neu zu denken, digitale Teilhabe zu fördern, Anwältin der Jugend zu sein, den Wertediskurs zu beleben und Kooperationen einzugehen. Am Ende darf man nicht vergessen: Junge Menschen sind nicht per se politikverdrossen. Sie bringen neue Themen auf die Agenda – ob Klimaschutz, Gleichberechtigung oder mentale Gesundheit – und sie wollen gehört werden. Die Kirche und ihre Diakonie stehen hier in der Verantwortung, Brückenbauerin zu sein: zwischen der jungen Generation und den Entscheidungstragenden, aber auch zwischen Individuum und Gemeinschaft. Demokratie lebt davon, dass jeder Mensch seinen Platz und seine Stimme findet. Dies jungen Leuten zu ermöglichen, ist eine zutiefst diakonische Aufgabe – im digitalen Zeitalter mehr denn je.