Diakonie als solidarisches Hilfehandeln in Kirche und Gesellschaft

Diakonie als solidarisches Hilfehandeln in Kirche und Gesellschaft

Eine lebensweltorientierte, bewusst gestaltete Diakonie kann gemeinschaftsfördernd und inkludierend wirken. In der Gemeinschaft kann ein Miteinander und ein Eingebunden sein, fern von Rollenzuschreibungen von Bedürftigen und Gebenden entstehen. Ein Gastbeitrag von Kathrin Hunn-Vogler.

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Diakonie als solidarisches Hilfehandeln in Kirche und Gesellschaft

Eine lebensweltorientierte, bewusst gestaltete Diakonie kann gemeinschaftsfördernd und inkludierend wirken. In der Gemeinschaft kann ein Miteinander und ein Eingebunden sein, fern von Rollenzuschreibungen von Bedürftigen und Gebenden entstehen. Ein Gastbeitrag von Kathrin Hunn-Vogler.

Definition und Einordnung von Diakonie

Diakonie lässt sich bestimmen als aus dem Evangelium heraus, christlich motiviertes Hilfehandeln in Kirche und Gesellschaft. Eine bedingungslose, barmherzige Zuwendung zu allen Menschen.

Neben dem spontanen Hilfehandeln, werden in Kirchen und in Werken Freiwillige durch Sozialdiakoninnen und Sozialdiakone unterstützt, begleitet und ausgebildet. Diese Fachpersonen der Sozialdiakonie sind sozialfachlich und kirchlich-theologische ausgebildet. Sie stützen sich auf das Berufsbild der Professionellen der Sozialen Arbeit und erweitern dieses bewusst um die spirituelle Dimension. „Die Professionellen Sozialer Arbeit handeln im Dienste eines Lebens, in dem die physischen, psychischen, sozialen und kulturellen [- und spirituellen – ] Bedürfnisse der Menschen anerkannt und befriedigt werden und die unveräusserliche Würde und der Wert jeder einzelnen Person Anerkennung und Schutz finden.“ (Avenir Social 2014).

Diakonie als solidarisches Handeln

In der Diakonie sind alle Menschen gefordert und eingeladen, sich für die an Leib, Seele und Geist Notleidenden, Perspektivenlosen, Unterdrückten, Ausgeschlossenen, Heimatlosen… unserer Gesellschaft mit Solidarität einzusetzen – dies im Sinne einer Reich Gottes Perspektive.

Was bedeutet dieses Hilfehandeln nun spezifisch in unserer Zeit? In Angesicht der uns länger begleitenden Covid-19-Zeit wird Solidarität von allen gefordert. Wie soll sich da die Diakonie positionieren und was ist ihr Auftrag?

Paulo Suess (zit. in Segbers 2011) unterscheidet drei Ausprägungen von Solidarität, die sich gegenseitig bedingen. Die barmherzige, die prophetische und die institutionelle Solidarität. Dieser Dreiklang veranschaulicht das Auftrags- und Wirkungsfeld einer zeitgemässen und zukunftsfähigen Diakonie.

Barmherzige Solidarität

Die barmherzige Solidarität ist die basale Form der bedingungslosen Zuwendung und Hilfe für Menschen in Not. Soforthilfe, wie aber auch die Triage an eine weiterführende Beratungsstelle oder die Einbettung in die Gemeinschaft werden darunter verstanden. Im Fokus sollen da speziell auch „vergessene“ Gruppen unserer Gesellschaft, wie Opfer von Menschenhandel und Sanspapiers, wahrgenommen werden.

Traditionell ist die Diakonie in diesem Bereich stark. Viele gute Projekte und Arbeitszweige bestehen dazu. Lebensmittelabgaben, Vermittlung von Notunterkünften, Beratungsstellen, sowie früher die häusliche Krankenpflege sind einige davon.

Die Not kann sich als soziale Not manifestieren. Menschen sehnen sich nach verlässlichen Kontakten und Gemeinschaft, nach Teilhabe. Dies wurde speziell in letzter Zeit mit allen Kontakteinschränkungen erneut deutlich. Auch da ist die Diakonie präsent mit Mittagstischen, offenen Treffpunkten, Gruppenangeboten, Besuchsdiensten…

Eine lebensweltorientierte, bewusst gestaltete Diakonie kann gemeinschaftsfördernd und inkludierend wirken. In der Gemeinschaft kann ein Miteinander und ein Eingebunden sein, fern von Rollenzuschreibungen von Bedürftigen und Gebenden entstehen.

Spirituelle Fragen und seelische Nöte werden selten von staatlichen Stellen oder zivilgesellschaftlichen Bewegungen aufgegriffen. Da bringt eine reflektierte Diakonie eine wichtige Kompetenz mit. Menschen können in der Fürbitte mitgetragen werden. Sie werden eingeladen, gemeinsam, dankend, bittend, klagend, zweifelnd… vor Gott zu kommen und um sein Wirken zu bitten. Seelsorge wie auch gemeinsame Feiern oder Rituale sind weitere Formen der Unterstützung. Diese Angebote sollen, in Sinne der Diakonie, niederschwellig, klar deklariert und offen für alle sein.

Prophetische Solidarität

Der Begriff prophetische Solidarität als zweite Form, könnte auch mit politischer oder anwaltschaftlicher Solidarität umschrieben werden. Es geht um eine politische Einmischung zu Gunsten von Notleidenden. Diese Art der Solidarität prangert Ursachen und Verursacher sozialer Ungleichheit an und sucht nach Erklärungen und Lösungsansätzen. Im Sinne von anwaltschaftlichem Engagement gibt sie stellvertretend Betroffenen eine Stimme und engagiert sich für eine gerechtere Welt.

Menschen soll zu Recht verholfen werden. Die Diakonie ist gefordert, sich für Menschenrechte, Menschenwürde, Zugangs- und Verteilungsgerechtigkeit einzusetzen – auch mit politisch-kreativen Mitteln.

In der sich polemisierenden politischen Landschaft braucht es klare Stimmen für die Würde von Klimaflüchtlingen, modernen Sklaven, Vertriebenen, Working Poors, Menschen mit Behinderungen, religiösen Minderheiten und gewaltbetroffenen Menschen. …die Liste ist lange.

Ethische Fragen sollen aufgeworfen und fundiert diskutiert werden. Die Diakonie ist aufgerufen als Brückenbauerin konstruktive Dialoge zu fördern und dabei aber auch dezidiert unangenehme Positionen zu Gunsten der Schwächsten einzunehmen.

Institutionelle Solidarität

Empowernde Solidarität wäre für diese dritte Form der Solidarität eine fachlich-moderne Umschreibung. Betroffene werden ermutigt und ermächtigt, sich für ihre eigenen Anliegen einzusetzen. Sie werden unterstützt, sich selber eine Stimme zu verschaffen, Forderungen zu formulieren und sich dafür einzustehen. Sozialfachlich passt hier der Begriff des community organizing sehr gut.

In der Einzelfallhilfe wie auch in der Gruppenarbeit und der Gemeinwesenarbeit sind in der diakonischen Arbeit Ressourcen zu suchen, zu fördern und zu stärken.

Die Stärkung der Zivilgesellschaft und Demokratie hilft, dass Menschen selber zu Mitgestaltenden ihrer Lebensumstände werden können. Diakonie soll Initiativen von Betroffenen fördern und unterstützen. Ein gutes Beispiel dazu sind Caring Communities, die sich im Umfeld von Kirchen entwickeln. Menschen unterstützen sich in einer sozialräumlichen Gemeinschaft gegenseitig in einem gleichwertigen und vielfältigen Austausch.

Zusammenfassender Auftrag

In der Zeit, in der mein Nächster, meine Nächste zur Bedrohung – sprich Virenverteiler, Wohlstandsbedroherin…– werden kann, ist und bleibt der Einsatz für Barmherzigkeit und Solidarität auf allen drei Stufen ein zentrales und relevantes Anliegen der Diakonie.
Diese Solidarität ist in allen drei Bereichen sozialräumlich, national aber auch international zu verstehen. Lokale Bewegungen aber auch internationaldiakonische Werke oder die Hilfswerke der Kirchen sind zu unterstützen und zu fördern. Die Vernetzung mit zivilgesellschaftlichen Strukturen kann zusätzlich Mehrwert schaffen.

Gerhard K. Schäfer (2012) drückt es prägnant aus: „Diakonie ist das seitwärts Wachsen von Gemeinden – seitwärts, zu den Rändern hin. Gelebte solidarische Diakonie ist somit sicher herausfordernd – oft ausserhalb der Komfortzone der vertrauten Kirchenmauern – führt aber zu einer offeneren, farbigeren und Menschennäheren Kirche und Gesellschaft. Eigentlich ja so, wie Jesus Christus gelebt hat. Ganz nahe bei Gott und ganz nahe bei den Menschen und ihren Nöten. So multipliziert die Diakonie die durch Jesus offenbarte Hoffnung in dem sie fragt: „Was willst du, das ich dir tun soll?“ (Lk 18,41; Mt 20,32).

Quellen:

AvenirSocial (2014). Berufsbild der Professionellen Sozialen Arbeit. Bern.

Eurich, J. et al. (2011). Kirchen aktiv gegen Armut und Ausgrenzung. Theologische Grundlagen und praktische Ansätze für Diakonie und Gemeinde. Kohlhammer. (88.20)

Gerhard K. Schäfer, Pilotprojekt: GemeindeSchwester. Gesichtspunkte und Impulse, Fachtag Gemeindeschwester, Manuskript, 26.05.2012, S. 6. In: https://diakonisch.wordpress.com/tag/zitat/ (Zugriff am 9.11.2020)

Segbers, F. (2011). Pflaster auf eine Wunde, die zu gross ist. Tafeln, Sozialkaufhäuser und andere Dienste zwischen Armutslinderung und Armutsüberwindung. In: Eurich, J. et al. Kirchen aktiv gegen Armut und Ausgrenzung. Theologische Grundlagen und praktische Ansätze für Diakonie und Gemeinde. Kohlhammer, S. 475-492.

Autorin: 

Kathrin Hunn-Vogler, Sozialarbeiterin lic phil I, Dozentin und Fachbereichsleiterin an der höheren Fachschule für Theologie, Diakonie, Soziales, TDS Aarau. Das TDS Aarau bildet Fachpersonen in Sozialdiakonie mit Gemeindeanimation HF aus. www.tdsaarau.ch.

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