In der Schweiz verlassen sich Nachbarinnen und Nachbarn gerne aufeinander, so das Gottlieb Duttweiler Institut GDI in einer Medienmitteilung. Dies deute auf einen grossen Vertrauensvorschuss hin. Selbst die Covid-Pandemie habe die nachbarschaftlichen Beziehungen nicht verändert. So lauten Erkenntnisse aus einer vom GDI im Auftrag des Migros-Kulturprozentes verfassen Studie.
83 Prozent der Schweizer Bevölkerung lebt in einer grösseren Stadt oder ihrem Umland. Im Gegensatz zum Dorf sind die Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz an ihrem Wohnort meist von Menschen umgeben, die sie kaum kennen. Wie viel Kontakt haben sie, wie gross ist das gegenseitige Vertrauen? Das fragte die Studie laut Mitteilung. Was erwarten die Menschen voneinander? Was ist gut, was könnte besser werden? Wie wünschen sie sich das Zusammenleben, den Alltag? Wie wichtig ist die Beziehung zu den Nachbar:innen für Lebenszufriedenheit und Wohlbefinden? Und wie haben sich die Nachbarschaftsbeziehungen in der modernen Gesellschaft verändert, gerade durch die Pandemie?
Die meisten Bewohnerinnen und Bewohner der Schweiz hätten zwar ein eher distanziertes Verhältnis zu ihren Nachbarinnen und Nachbarn, brächten ihnen aber dennoch einen grossen Vertrauensvorschuss entgegen. Obwohl die meisten Befragten ihre Nachbarinnen und Nachbarn nach eigener Einschätzung nicht gut kennten, fühlten sich drei Viertel in ihrer Nachbarschaft sicher, und fast 90 Prozent vertrauten ihren Nachbarinnen und Nachbarn, so die Mitteilung. Corona hat die nachbarschaftlichen Beziehungen nicht spürbar verändert, ist eine weitere Erkenntnis der Studie.
Der Begriff der Nachbarschaft werde zudem in der Romandie und im Tessin um einiges breiter gefasst als in der Deutschschweiz. Zählten Letztere nur ihre unmittelbaren Nachbarinnen und Nachbarn zu ihrer Nachbarschaft, schliesse der Begriff in den anderen Landesteilen das ganze Quartier mit ein.
Während Personen in ländlichen Gegenden zufrieden mit der Häufigkeit der Kontakte seien, wünschten sich Städterinnen und Städter sowie Romands mehr Kontakt zu ihren Nachbarinnen und Nachbarn, so die Mitteilung weiter. Allem voran hätte man gerne mehr Anlässe in der Nachbarschaft.
Im Rahmen der Studie wurden vier Nachbarschaftstypen identifiziert. Fast die Hälfte der Bevölkerung zählt demnach zu den Distanzierten. Ein Drittel wird als Inspirationssuchend bezeichnet und sucht Begegnung und Austausch. Die Beziehungspflegenden schätzen mit 14 Prozent der Bevölkerung ein Gefühl von Gemeinschaft und Nähe. Die 10 Prozent der Wertorientierten suchen ein gemeinsames Verständnis von guter Nachbarschaft.
In der Typologie der Nachbarschaft werde deutlich, wie sehr der Wandel der Gesellschaft, urbane Lebensweisen, wachsende Vielfalt und neue Werte längst auch die Vorstellungen von Nachbarschaftlichkeit prägten, so die Autorinnen und Autoren der Studie. Auffällig sei der hohe Anteil von Inspirationssuchenden, die bereits ein Drittel der Befragten repräsentierten. Mit ihrer offenen, toleranten Haltung, ihrem Interesse an Austausch, Anregung und Vielfalt im Quartier und ihrer Neugierde in Bezug auf neue, flexiblere Formen des Zusammenlebens setzten sie vorsichtige Signale für einen neuen Trend. Vielleicht seien sie die Vorreiterinnen und Vorreiter für die Nachbarschaftlichkeit von morgen.
Nur mit Offenheit und Flexibilität würden Nachbarschaften auf die Herausforderungen der Zukunft angemessen reagieren können, egal ob es sich um die Zunahme von Remote Work, die ökologische Transformation der Gesellschaft oder die nächste Pandemie handele. Um in solchen Wandlungsprozessen zu bestehen, brauche es vor allem Vertrauen, so die Studie. Die Studie zeige, dass die Einwohner:innen der Schweiz hier auf ein grosses Kapital zurückgreifen könnten – ein solides Grundvertrauen sei in den Nachbarschaften über alle Typen hinweg fest verankert. Das gebe ein Gefühl der Sicherheit und mache Mut, optimistisch mit neuen Wohn- und Lebensformen zu experimentieren und Nachbarschaft immer wieder neu zu entdecken.