Digitale Teilhabe älterer Menschen: Fortschritt, Vielfalt und neue Verantwortung

Digitale Teilhabe älterer Menschen: Fortschritt, Vielfalt und neue Verantwortung

Noch vor fünfzehn Jahren galt die Generation 65+ als digitales Schlusslicht. Heute sind neun von zehn Seniorinnen und Senioren in der Schweiz online – ein tiefgreifender Wandel mit weitreichenden Folgen für Gesellschaft, Sozialpolitik und die digitale Infrastruktur. Doch trotz grosser Fortschritte zeigt sich: Digitale Teilhabe ist mehr als nur Netzanschluss. Es geht um Kompetenzen, Teilhabechancen und den Zugang zu einer zunehmend digitalisierten Welt. Die neue Studie Digital Seniors 2025 von Pro Senectute wirft ein Licht auf den Stand der Dinge – und auf das, was bleibt: digitale Ungleichheiten, neue Bildungsaufgaben und die Notwendigkeit individueller Unterstützung.

Die digitale Integration älterer Menschen hat in der Schweiz in den letzten Jahren markant zugenommen. Was einst als Randphänomen galt, ist heute Realität im Alltag der über 65-Jährigen. Die neue Studie Digital Seniors 2025 von Pro Senectute zeigt eindrücklich, wie stark sich der digitale Graben in den letzten fünfzehn Jahren geschlossen hat – und wo weiterhin gezielte Unterstützung notwendig ist. Neun von zehn Personen im Pensionsalter sind mittlerweile online. Gleichzeitig werden Unterschiede im Zugang, in der Nutzung und in den Kompetenzen innerhalb der Generation 65+ sichtbar. Der Wandel betrifft nicht nur die Nutzung technischer Mittel, sondern verändert auch das Verhältnis zur Informationsbeschaffung, zum sozialen Austausch und zu gesellschaftlicher Teilhabe. Ein internationaler Vergleich verdeutlicht, dass die Schweiz im europäischen Kontext führend ist – jedoch mit vergleichbaren Herausforderungen konfrontiert ist wie ihre Nachbarländer. Besonders bemerkenswert ist die Rolle der Sozialdiakonie, die vielerorts als Brücke zwischen digitaler Welt und gelebter Alltagsrealität wirkt.

Vom Pionierprojekt zur digitalen Normalität

Als Pro Senectute im Jahr 2010 erstmals die digitale Lage älterer Menschen untersuchte, zeigte sich ein deutliches Gefälle: Lediglich 38 Prozent der über 65-Jährigen nutzten damals das Internet. Viele waren skeptisch oder sahen keinen persönlichen Nutzen. Die Folgeerhebungen von 2015 und 2020 dokumentierten einen stetigen Anstieg. Bereits 2020 war die Mehrheit der älteren Bevölkerung online. Der Digitalisierungsschub durch die COVID-19-Pandemie hat diesen Prozess weiter beschleunigt. Die aktuelle Erhebung aus dem Jahr 2025 zeigt nun, dass 90 Prozent der über 65-Jährigen Zugang zum Internet haben. Besonders ausgeprägt ist die Nutzung bei den 65- bis 74-Jährigen, von denen 88 Prozent über grundlegende digitale Kompetenzen verfügen. Doch nicht alle Gruppen profitieren gleichermassen: Personen über 85 Jahre, Menschen mit geringer formaler Bildung oder solche mit gesundheitlichen Einschränkungen sind weiterhin unterdurchschnittlich digital vernetzt.

Der Zugang zum Internet allein sagt noch wenig über die tatsächliche digitale Teilhabe aus. Die Studie weist darauf hin, dass die Vielfalt der Nutzung stark divergiert. Während ein Teil der älteren Bevölkerung Videotelefonie, Onlinebanking, digitale Terminverwaltung oder auch Streamingdienste selbstverständlich nutzt, beschränkt sich die Anwendung für andere auf gelegentliches Googeln oder das Abrufen von E-Mails. Dabei spielen nicht nur technische Fähigkeiten eine Rolle, sondern auch die persönliche Einstellung gegenüber digitalen Medien, das soziale Umfeld und die Bereitschaft zum Lernen. Ein zentrales Ergebnis der Studie ist der tiefgreifende Wandel im Medienverhalten. Erstmals informieren sich mehr Seniorinnen und Senioren über digitale Geräte wie Smartphone, Tablet oder Computer als über klassische Medienkanäle. Der Anteil der Digitalen beträgt 33 Prozent, während der Fernsehkonsum als Informationsquelle auf 30 Prozent gesunken ist. Zeitungen und Radio verlieren weiter an Bedeutung. Dieser Trend zeigt, dass auch der Service public gefordert ist, seine Angebote barrierefrei und zielgruppengerecht in digitale Kanäle zu übersetzen.

Europa im Vergleich: Die Schweiz als Vorbild mit Einschränkungen

Ein internationaler Vergleich macht deutlich, dass die Schweiz in puncto digitaler Teilhabe älterer Menschen im europäischen Spitzenfeld liegt. Laut Eurostat-Daten für 2024 nutzen rund 84 Prozent der Menschen zwischen 65 und 74 Jahren in Deutschland das Internet, in Österreich sind es etwa 79 Prozent, in Frankreich 72 Prozent. In der Gruppe der über 75-Jährigen sinkt die Quote in allen Ländern, wobei Frankreich besonders starke Einbrüche zeigt. Die Schweiz verzeichnet dank kontinuierlicher Förderung und dezentraler Unterstützungsangebote deutlich höhere Anteile auch in dieser Altersgruppe. Der Unterschied liegt nicht nur in der technologischen Infrastruktur, sondern vor allem in den strategischen Ansätzen. Deutschland setzt mit dem «DigitalPakt Alter» auf ein bundesweites Netzwerk aus Kommunen, Wohlfahrtsverbänden und Bildungsakteuren. Österreich fokussiert auf Programme wie «Digital fit im Alter», die Schulungen und Peer-Learning-Formate anbieten. In Frankreich fehlen bislang vergleichbare nationale Konzepte; punktuelle Initiativen werden kaum flächendeckend umgesetzt. Die Schweiz verfolgt einen intermediären Ansatz: Kantonal getragene Angebote, eine starke Rolle von Non-Profit-Organisationen und kirchlicher Sozialarbeit, verbunden mit strategischer Bundesunterstützung.

Besonders hervorzuheben ist in der Schweiz die Rolle der Sozialdiakonie. Sie agiert vielerorts als Bindeglied zwischen technologischer Entwicklung und sozialer Wirklichkeit. In Kirchgemeinden, regionalen Alterszentren und Beratungsstellen bieten sozialdiakonische Fachpersonen niederschwellige Schulungen, persönliche Begleitungen und offene Treffs an, in denen Fragen rund um Smartphones, E-Mails, Online-Formulare oder soziale Medien geklärt werden. Diese Angebote gehen über reine Wissensvermittlung hinaus. Sie ermöglichen Austausch, fördern Selbstvertrauen und schaffen soziale Eingebundenheit. Besonders wirkungsvoll sind Formate, bei denen ältere Menschen andere ältere Menschen anleiten – unterstützt von Freiwilligen, die durch Pro Senectute ausgebildet und begleitet werden. So wird aus Techniklernen Beziehungsarbeit, aus Hilflosigkeit ein Raum für Selbstermächtigung. Auch Heime und betreute Wohnformen binden vermehrt digitale Inhalte in die Alltagsgestaltung ein, sei es durch Tablet-Gruppen, Online-Spiele oder virtuelle Museumsbesuche.

Technologische Teilhabe braucht soziale Einbettung

Die Studie macht deutlich, dass ein technologischer Zugang allein keine Garantie für digitale Souveränität ist. Digitale Anwendungen müssen alltagstauglich, barrierearm und verstehbar gestaltet sein. Besonders für hochaltrige Menschen sind komplexe Benutzeroberflächen, mehrstufige Sicherheitsabfragen oder kleine Schriftarten massive Hürden. Auch das Vertrauen in digitale Systeme bleibt ein Thema: Datenschutz, Angst vor Betrug oder Überforderung durch Updates führen dazu, dass viele ältere Menschen digitale Dienste nur zögerlich oder gar nicht nutzen. Hier liegt eine zentrale Aufgabe bei Anbietern digitaler Dienstleistungen, aber auch bei staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren. Digitale Bildung darf nicht auf Kursformate reduziert werden, sondern muss in eine umfassende Kultur der Teilhabe eingebettet sein – analog und digital.

Trotz aller Fortschritte bleibt der Befund ambivalent. Der digitale Graben ist nicht verschwunden, er hat sich nur verschoben. Fünf bis zehn Prozent der älteren Menschen werden auch künftig dauerhaft offline bleiben, sei es aus gesundheitlichen Gründen, aus Überzeugung oder weil ihnen die nötige Unterstützung fehlt. Diese Menschen dürfen nicht vergessen werden. Neben inklusiven Digitalangeboten braucht es weiterhin verlässliche analoge Strukturen, die gesellschaftliche Teilhabe sichern. Gleichzeitig muss die Digitalisierung im Alter als strategische Zukunftsaufgabe verstanden werden. Mit dem demografischen Wandel und der wachsenden Bedeutung digitaler Dienstleistungen – etwa im Gesundheitswesen, in der Mobilität oder im Bereich der Behördenkontakte – steigt der Druck, inklusive Lösungen zu finden. Der Ruf nach lebenslangem Lernen muss konkretisiert und sozial gerecht ausgestaltet werden.

Die digitale Teilhabe älterer Menschen ist keine technische Frage, sondern eine soziale. Sie entscheidet darüber, ob Menschen im Alter selbstbestimmt leben, kommunizieren und sich orientieren können. Die Schweiz hat in den letzten Jahren viel erreicht, doch der Weg zur digitalen Gesellschaft für alle ist noch nicht zu Ende. Die Studie Digital Seniors 2025 dokumentiert diesen Fortschritt ebenso wie die bestehenden Lücken. Entscheidend ist, ob es gelingt, Technik in Beziehung zu setzen – und ältere Menschen nicht nur als Zielgruppe, sondern als aktive Mitgestaltende der digitalen Welt ernst zu nehmen. Die Rolle der Sozialdiakonie, der Freiwilligenarbeit und der lokalen Bildungslandschaften wird dabei zentral bleiben. Denn echte digitale Teilhabe braucht nicht nur Bandbreite – sie braucht Begegnung, Begleitung und Vertrauen.

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