“Ein gutes Leben für alle ist innerhalb der planetarischen Grenzen möglich”

“Ein gutes Leben für alle ist innerhalb der planetarischen Grenzen möglich”

Gemäss aktuellen Berechnungen ist ein ökologisches und sozial gerechtes Leben für über zehn Milliarden Menschen möglich, sagen Forschende der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa. Allerdings brauche es dafür ein Umdenken.

Die Menschheit geht heute nicht nachhaltig mit der Erde um denn Klimaerwärmung, Abholzung und Rückgang der Artenvielfalt machen unserem Planeten zu schaffen, so die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa in einer Medienmitteilung. Die Menschheit befinde sich weiterhin auf einem Weg der ökologischen Instabilität. Während der Ressourcenverbrauch beispiellos hoch sei, hätten große Teile der menschlichen Bevölkerung immer noch keine Möglichkeit, ein angemessenes Leben zu führen.

In einer neuen Studie haben Empa-Forschende laut Mitteilung nun aufgezeigt, dass zumindest technisch auch mehr als zehn Milliarden Menschen nachhaltig auf der Erde leben können und dabei auch noch ein angemessener Lebensstandard für alle erreichbar ist. “Wir stellen fest, dass alle betrachteten planetarischen Grenzen für 8,0 und 10,4 Milliarden Menschen mit einer Wahrscheinlichkeit von 81% bzw. 73% eingehalten werden können”, so die Forschenden im Bericht.

Dies erfordere jedoch ein fossilfreies Energiesystem und eine im Wesentlichen vegane Ernährung sowie keine zusätzliche Umwandlung von Anbauflächen. Um tatsächlich einen sicheren und gerechten Arbeitsraum zu schaffen und zu vergrößern, müssten Kohlendioxidemissionen, Biodiversität, Phosphor- und Stickstoffemissionen weiter reduziert werden, hauptsächlich durch verbesserte landwirtschaftliche Praktiken und Kreislaufwirtschaft.

Für ihre Berechnung wurde das sogenannte Donut-Modell verwendet. Dieses Modell besteht aus zwei konzentrischen Kreisen. Der äussere Kreis stellt die Grenzen wichtiger planetaren Ressourcen dar, darunter etwa die Biodiversität, das Klima sowie die Land- und Wassernutzung, dessen Überschreiten das Risiko für grossflächige, abrupte und irreversible Umweltveränderungen erhöht. Ein ausgefüllter innerer Kreis bedeutet, dass die menschlichen Grundbedürfnisse erfüllt sind und ein angemessener Lebensstandard für alle Menschen erreicht ist. Der eigentliche Donut ist der Bereich zwischen diesen Kreisen: Die Menge der natürlichen Ressourcen, die über das Erreichen eines angemessenen Lebensstandards hinaus noch sicher genutzt werden könnten.

Nach aufwendiger Recherche haben die Forschenden schliesslich einen hypothetischen «Warenkorb» zusammengestellt. Dieser enthält eine Auswahl von Gütern und Dienstleistungen, die für einen angemessenen Lebensstandard unabdingbar sind. Die Umweltschäden durch das Bereitstellen des Warenkorbs haben die Forschenden dann mit den planetaren Grenzen verglichen. Ein angemessenes und ökologisches Leben für mehr als zehn Milliarden Menschen sei mit hoher Wahrscheinlichkeit möglich, lautet das Ergebnis. Allerdings brauche es dafür einen grundlegenden Wandel in vielen Systemen, mit denen essentielle Güter und Dienstleistungen bereitgestellt würden.

Um einen angemessenen Lebensstandard für alle innerhalb planetarer Grenzen zu erreichen, brauche es einen kompletten Verzicht auf fossile Brennstoffe sowie eine Umstellung der Landwirtschaft zugunsten einer überwiegend pflanzlichen Ernährung, so die Forschenden.

Eine weitere wichtige Transformation auf dem Weg zum Donut sei das Angleichen des Lebensstandards an die Grundbedürfnisse. In reichen Ländern wie der Schweiz könne eine Reduktion der Wohnfläche sowie ein geringeres Ausmass an individueller Mobilität zu einem angemesseneren Lebensstandard führen. Hingegen könnten der öffentliche Verkehr und die Gesundheitsversorgung durchaus ausgebaut werden, ohne dass Umweltschäden signifikant stiegen, so die Forschenden.

“Heute ist die Menschheit weder in der Lage, ein menschenwürdiges Leben für alle zu gewährleisten, noch die ökologischen Lebensgrundlagen für künftige Generationen zu sichern”, so die Forschenden dazu im Bericht. Frühere Studien zeigten, dass Fortschritte bei der Angleichung von Mindestlebensstandards für alle und langfristiger ökologischer Stabilität erzielt werden könnten. Es fehle jedoch der Nachweis, dass diese Fortschritte ausreichten, um einen sicheren und gerechten Lebensraum zu schaffen.

Die Empa-Studie zeige nun, dass es möglich sei, mit bekannten Technologien und unter den zu erwartenden Bevölkerungsszenarien ein menschenwürdiges Leben für alle mit mindestens 73%iger Sicherheit zu erreichen. Um einen angemessenen Lebensstandard für 10,4 Milliarden Menschen mit hohem Vertrauen zu erreichen, seien jedoch weitreichende Ernährungsumstellungen, minimaler Konsum und vollständig defossilisierte Energiesysteme erforderlich. Dies sei mit den derzeit verfügbaren Technologien möglich, jedoch gebe es kaum Spielraum: “Eine vollständige Defossilisierung der Wirtschaft ist daher notwendig, aber nicht ausreichend”, so die Forschenden.

Künftige Forschungsarbeiten könnten sich auf die Verbesserung der landwirtschaftlichen Praktiken – wie biologische Landwirtschaft, Permakultur, verbesserte Bodenbewirtschaftung – konzentrieren, da sie das größte Potenzial böten, heisst es weiter. Dies werde insbesondere für das Klima, die biologische Vielfalt und die biogeochemischen Flüsse von Bedeutung sein.

Theoretische Beweise für die Existenz eines “Doughnut”-Zustands seien jedoch kein Beweis, dass es möglich sei, einen Übergang zu einem solchen Zustand zu erreichen, bemerken die Forschenden am Ende der Studie. Die Möglichkeit eines Übergangs hänge von einer Vielzahl von Faktoren ab, darunter geopolitische Zusammenarbeit und Wille oder auch soziale Akzeptanz.

Grafik: © Empa.