Wie fühlt sich Demenz an? Welchen Hindernissen begegnen an Demenz Erkrankte tagtäglich? Alle, die sich als Angehörige, Pflegende oder in der Freiwilligenarbeit für Menschen mit Demenz engagieren, müssen sich immer wieder auf neue, manchmal recht schwierige Situationen einstellen, so die Evangelisch-reformierte Kirche des Kantons St.Gallen.
Menschen mit Demenz ändern ständig ihr Verhalten, das gehört zu ihrer schweren, fortschreitenden Krankheit. Und obwohl alles für sie einen Sinn hat, lässt es sich für uns nicht immer nachvollziehen, so die Kirche in einer Informationsbroschüre.
„Im Verlauf der Erkrankung nehmen sie sich selbst und die Welt anders oder sogar als vollkommen fremd wahr. Menschen mit Demenz zeigen mitunter heftige Gefühle und es fällt uns nicht leicht, darauf angemessen zu reagieren. Das macht es so schwer, Menschen mit Demenz zu verstehen.“
Mit einem „Demenzsimulator“ sei es jetzt möglich, nachempfinden zu können, wie es Menschen mit Demenz gehe. In 13 alltäglichen Situationen könne mit dem Demenzsimulator erleben werden, wie sich die Symptome einer Demenz anfühlten. „Sie werden Ihr Verständnis für Menschen mit Demenz vertiefen“, so die Informationsbroschüre zum Simulator.
Der Demenzsimulator lässt die Nutzerinnen und Nutzer einen Tag am Leben der demenzkranken Erna Müller teilhaben. „Lassen Sie sich in 13 alltäglichen Situationen verwirren und an ihre Grenzen bringen“, so die Broschüre.
Der Simulator besteht aus dreizehn Stationen, die jeweils mit einer Geschichte von Erna Müller beginnen. Zum Abschluss einer Alltagssituation folgt eine kurze Information zur Einschätzung und Symptomatik einer Demenz. Für den kompletten Durchlauf sei ein Zeitaufwand von etwa zwei Stunden einzuplanen.
Vom Anziehen bis zum Abendessen können Personen, die nicht an Demenz erkrankt sind, erleben, wie sich die Symptome einer Demenz anfühlen, so Hands on Dementia, der Firma hinter dem Simulator. Die Teilnehmenden würden eigene Grenzen erfahren, Unbehagen empfinden und das eigene Unvermögen erleben.
Das führe zu negativen Gefühlen, so, wie bei Menschen mit Demenz an jedem Tag. Durch das Erleben der eigenen intensiven Emotionen entwickele sich ein besseres Verständnis für den Erkrankten. Gerade in den schwierigen Situationen des Alltags sei es enorm hilfreich und entlastend, Menschen mit Demenz mit mehr Empathie zu begegnen.
Immer mehr Menschen erkranken an Demenz. Sie und ihre Angehörigen müssen lernen, mit den tiefgreifenden Veränderungen, die eine Demenzerkrankung nach sich zieht, fertig zu werden und ihr Leben entsprechend zu gestalten, so die St.Galler Kirche.
„All das wissen wir aus den Medien, in denen das Thema Demenz sehr präsent ist. Doch wie präsent ist es in unseren Kirchgemeinden?“, so die Internetseite der Kirche zum Thema weiter. „Im Umgang mit Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen, die gerade jetzt Anteilnahme, Gemeinschaft, Unterstützung sowie seelsorgerliche und geistliche Begleitung brauchen, sind unsere Kirchgemeinden oft ungenügend vorbereitet und eingerichtet.“
Ziel des Demenzsimulators ist es, sich in Alltagssituationen von Menschen mit Demenz hineinversetzen zu können und dadurch im Umgang sensibilisiert zu werden. Über den Simulator hinaus bietet die Arbeitsstelle Diakonie den dreiteiligen Kurs „Menschen mit Demenz begleiten“ an und vermittelt Fachpersonen aus dem Alzheimer Netzwerk für begleitende Vorträge.
«Mir sind praxisnahe Erfahrungen wichtig, weil ich glaube, dass wir dann ein grösseres Verständnis für Menschen entwickeln, die an Demenz erkrankt sind, so Maya Hauri Thoma, Projektverantwortliche der St.Galler Kirche. «Je mehr Menschen mehr über die Krankheit wissen, desto einfacher wird es für Betroffene und ihre Angehörigen. Wer sich mit dem Thema befasst, kann dann mit ungewöhnlichen und überraschenden Situationen besser umgehen.»
Seit Anfang 2020 ist Maya Hauri Thoma Leiterin der Projektstelle Hochaltrigkeit und Demenz. Dabei sei sie auf den Demenzsimulator aufmerksam geworden. «Alle können erleben, was es bedeutet, an einfachen Aufgaben zu scheitern und seinen Sinnen nicht mehr trauen zu können. Dazu gehört, dass man sich unbeholfen und unbehaglich fühlt, frustriert wird oder sich geniert, weil etwas, was man doch immer konnte, nicht mehr gelingen will.»
Die ganze Gefühlspalette von Ärger oder Scham könne man nun nachempfinden. Aussagen von Teilnehmenden seien etwa: «Jetzt verstehe ich, warum mein Mann statt Besteck die Hände nimmt zum essen» oder «Ich hätte nicht gedacht, dass so viele einzelne Handlungsschritte nötig sind, bis man frühstücken kann» oder «die Aufgabe, die Schürze zuzuknöpfen, war so schwierig, da ist es mir einfach verleidet und es wurde mir egal, wie das jetzt aussieht…».
Einige Gemeinden machten Demenz zum Jahresthema oder zur Themenwoche, versehen mit öffentlichen Vorträgen, dem Kurs «Menschen mit Demenz begleiten», als Erlebnisprogramm mit Jugendlichen oder Konfirmanden.
«Ein weiterer Schritt könnte sein, dass sich eine Kirchgemeinde entschliesst, eine «demenzsensible Kirchgemeinde» zu werden. Dazu haben wir drei Kirchgemeinden gewinnen können, die im Austausch miteinander die dazu nötigen Schritte einleiten», so Maya Hauri Thoma.