Patientendaten – das neue Gold?
Jede medizinische Untersuchung wird ausgewertet. Patienten können diese Daten zu Forschungszwecken freigeben, bald vielleicht mit einem schweizweit einheitlichen Dokument. Die Daten sind hoch interessant – für die Forschung und die Industrie. Sind Patientendaten das neue Gold?
Tausende Schweizerinnen und Schweizer werden jeden Tag in Spitälern, Praxen und Kliniken untersucht. Blut wird abgenommen, Tests vorgenommen, Krankengeschichten festgehalten, Diagnosen gestellt. Die Dokumentation erfolgt praktisch zu 100% digital, die Daten liegen also auf Festplatten, Servern, in Datenclouds. Gigantische Datenmengen kommen so zusammen – und mit beträchtlichem Wert.
Was als einzelne Diagnose nur den einzelnen Patienten betrifft, eröffnet in grosser Menge plötzlich ganz neue Möglichkeiten. Sobald die Daten miteinander verbunden und verglichen werden, ergeben sich Zusammenhänge und Trends. Und noch mehr existiert damit sozusagen ein Gesundheitsspiegel der Schweiz – hoch interessant für künftige Forschungsprojekte. Genauso attraktiv ist dieser Datenpool für die Entwicklung der personalisierten Medizin, also auf den Patienten massgeschneiderter Medikamente.
Material
Lösung Generalkonsent?
Aber ganz so einfach ist die Sache nicht. Die Daten fallen unter die Regeln des Datenschutzes. Sie dürfen also keine Verwendung finden. Viele Spitäler haben deshalb eigene Einverständniserklärungen, welche die Patienten auszufüllen gebeten werden. Allerdings unterscheiden sich diese Dokumente stark voneinander.
Dies soll sich jetzt ändern. Eine standardisierte Informations- und Einverständniserklärung, “Generalkonsent” genannt, soll ermöglichen, dass Spendende grundsätzlich in die Verwendung ihrer Daten und Proben für künftige Forschungsprojekte einwilligen können.
Solche zukünftige Forschungsprojekte – in welchem Bereich oder mit welchem Ziel auch immer – müssen den Patienten also nicht mehr um Freigabe der Daten bitten. Ein Entwurf dieses Generalkonsents liegt nun vor. Verfasst haben ihn die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften SAMW und swissethics.
“Gesucht werden Erkenntnisse zur optimalen medizinischen Behandlung individueller Patienten als auch solche, die der gesamten gesunden Bevölkerung zugutekommen”, so die swissethics-Präsidentin Susanne Driessen und Michelle Salathé, Leitung Ressort Ethik der SAMW. Gemeinsam erläutern sie das Vorhaben.
Das Sammeln und Auswerten der Daten eröffne “eine zusätzliche Dimension in der klassischen Methodik zur Generierung und Testung von Hypothesen”. Es bräuchte “neue, tragfähige und ethisch begründete Rahmenbedingungen” – nur so könne dem Nutzen ein abgrenzbar definiertes Risiko entgegengesetzt werden, damit das Vertrauen in die Forschung erhalten bliebe.
Nötig sei der “angemessene Einbezug der Spendenden”, um sie umfassend und verständlich über die Nutzen und Risiken der Datenverwendung aufzuklären, schreibt die SAMW. Die rechtlichen Vorgaben für die Datenverwendung sind jedoch kompliziert und schwierig zu vermitteln. Grundsätzlich gilt: Je höher das Risiko einer unbefugten Identifizierung der Spendenden, desto strenger sind die Anforderungen.
Gleichzeitig gibt die SAMW zu bedenken, dass es heute kaum noch “tatsächlich” anonymisierte Proben geben werde, weil die DNA-Analyse einer Probe keinen unverhältnismässig grossen Aufwand mehr bedeute. “Aus ethischer und rechtlicher Sicht muss sichergestellt sein, dass die Spender verstehen, wofür sie einwilligen”, schreibt die SAMW.
Patientendaten nur mangelhaft geschützt
Die meisten Patienten stimmen schon jetzt der Nutzung ihrer Daten zu – auch ohne genaue Kenntnis des Forschungszweckes. Im Unispital Lausanne zum Beispiel sind dies drei von vier Patienten, wie der Beobachter schreibt.
Dort kommt auch die Berner Juristin Franziska Sprecher zu Wort, die die Patientenschutzorganisation SPO berät. Zwar regele das Humanforschungsgesetz die Forschung am Menschen. Auf eine umfassende Regelung der Biobanken, wo die Patientendaten verwaltet werden, sei aber “bewusst verzichtet” worden. Zum Beispiel sei dort nicht geregelt, wem die Daten eigentlich gehören. Daten seien “das neue Gold”, daher müssten sie Eigentum der Spenderinnen und Spender bleiben.
Es macht einen Unterschied, ob Personen ihre Daten zur Verfügung stellen oder ob private Biobanken damit Geld verdienen.
„Biobanken als Informationsressourcen sind schon jetzt ein lukrativer Markt, grosse Biobanken kaufen kleinere auf, verkaufen ihre Daten“, betont der Ethiker beim Evangelischen Kirchenbund Frank Mathwig. „Es macht einen Unterschied, ob Personen ihre Daten für die Allgemeinheit zur Verfügung stellen oder ob private Biobanken mit diesen Daten Geld verdienen.“
Völlig unklar sei zudem, was für die Spenderinnen und Spender aus ihre Einwilligung folge, so Mathwig, der auch Mitglied der Nationalen Ethikkommission im Bereich Humanmedizin ist. Gerade im Blick auf genetische Daten sei die Zukunft „völlig offen, wenn zukünftig neue diagnostische Entwicklungen zu Befunden führen, die zur Zeit der Einwilligung noch gar nicht möglich waren“. Der Generalkonsent suggeriere „eine Seriosität und Sicherheit, die das heutige schweizerische Recht nicht zu garantieren vermag.“
Die Einführung des Generalkonsents soll schrittweise geschehen. Fernziel ist eine schweizweit einheitliche Verwendung der Vorlage.
Rückmeldungen auf die aktuelle Vorlage werden in eine revidierte Version im kommenden Jahr einfliessen. Ausserdem soll es eigene Vorlagen für urteilsunfähige Erwachsene sowie Kinder und Jugendliche geben. Denn die ursprüngliche Vorlage sei “für Menschen mit geistiger Behinderung leider nicht verständlich”, schreibt insieme in einer Stellungnahme. Eine eigene Version für Kinder und Jugendliche hatten SAMW und swissethics vorgelegt. Genau wie diese haben auch Menschen mit geistiger Behinderung spezielle Bedürfnisse in Bezug auf den Generalkonsent, so insieme, die sich als Elternvereinigung für deren Interessen einsetzt.