Im doppelten Sinn ein Leben im Schatten

Im doppelten Sinn ein Leben im Schatten

Sans-Papier Frauen arbeiten oft in Haushalten. Ihre Arbeit hat gesellschaftlich einen tiefen Stellenwert. Da ihr Aufenthalt nicht bekannt sein darf, müssen sie unsichtbar bleiben. Dadurch haben Frauen ein erhöhtes Risiko, sexuelle Ausbeutung und häusliche Gewalt zu erfahren. Sans­ Papiers haben Rechte, doch aufgrund ihrer Angst entdeckt zu werden, fordern sie diese kaum ein. Ein Projekt der Sans-Papiers Anlaufstelle Zürich will dies ändern. Das Projekt wird durch fondia gefördert.

Im Kanton Zürich leben Schätzungen nach 13’600 bis 24’900 Migrantinnen und Migranten ohne geregelten Aufenthaltsstatus. Eine Mehrheit von ihnen sind Frauen. Die grösste Gruppe von Sans-Papiers im Kanton Zürich bilden mit rund 8´000 die Hausarbeiterinnen. Sie putzen, waschen, bügeln, betreuen Kinder oder ältere oder pflegebedürftige Personen. Ihre Arbeit ist unerlässlich für das Funktionieren unserer Gesellschaft.

Sans-Papiers Hausarbeiterinnen führen jedoch im doppelten Sinn ein Leben im Schatten: Sie arbeiten im «Privaten», sind kaum sichtbar und ihre Arbeit hat gesellschaftlich einen tiefen Stellenwert. Gleichzeitig müssen sie selber «unsichtbar» bleiben, da ihr Aufenthalt in der Schweiz nicht bekannt sein darf. Sie sind extrem marginalisiert, im öffentlichen Bewusstsein nicht vorhanden und leben doch mitten unter uns.

Diese Unsichtbarkeit führt dazu, dass Frauen ein erhöhtes Risiko haben, sexuelle Ausbeutung und häusliche Gewalt zu erfahren sowie durch Arbeitgebende, Vermieterinnen und Vermieter extrem ausgebeutet zu werden. Auch Sans-Papiers haben Rechte, doch aufgrund ihrer Angst entdeckt zu werden, fordern sie diese kaum ein.

Die Sans-Papiers Anlaufstelle Zürich SPAZ hat nun ein Projekt zur Stärkung von Sans-Papiers Frauen lanciert. Damit richtet sie ein besonderes Augenmerk auf die doppelte Unsichtbarkeit von Sans-Papiers Frauen und auf die spezifischen Herausforderungen, die durch ihre Tätigkeit als Hausarbeiterin, durch ihr Frausein oder Muttersein in unserer Gesellschaft entstehen.

Frau K. ist seit etwa zwei Jahren Klientin im SPAZ. Sie kam ursprünglich, weil sie sich wegen Heirat beraten lassen wollte. Nach einem Hirnschlag wurde mit dem Spital Kontakt aufgenommen und für sie eine Krankenkasse abgeschlossen. Zudem konnten kostenlose Craniosacraltherapien organisiert werden.

Mit der Zeit öffnete sie sich und erwähnte gegenüber der Spitalsozialarbeiterin, dass sie Angst vor ihrem Partner habe. Es stellte sich heraus, dass sie nicht nur häusliche Gewalt erfahren hat, sondern auch Opfer von Menschenhandel und extremer Ausbeutung durch den Arbeitgeber wurde. Frau K. ist aktuell in einem Schutzhaus und wird rechtlich und psychologisch beraten.

„Mit diesem Projekt wollen wir Sans-Papiers Frauen beim Einfordern ihrer Rechte, dem Schutz vor sexueller Ausbeutung, beim Zugang zu Gesundheitsversorgung und bei der Alltagsbewältigung unterstützen“, so die Leiterin Bea Schwager. „Viele dieser Frauen sind zudem alleinerziehende Mütter, wir entlasten und beraten sie bei Anliegen zu ihren Kindern.“

Das Projekt hat zum Ziel, die Frauen über ihre Rechte und Möglichkeiten zu informieren, ihnen Zugang zur Gesundheitsversorgung zu verschaffen und sie über Hilfsangebote bei sexualisierter Gewalt und sexueller Ausbeutung zu informieren. Weiter will die Anlaufstelle die Frauen, wenn nötig, ermutigen, einen Deutschkurs zu besuchen.

Das Projekt richtet sich an Frauen ohne geregelten Aufenthaltsstatus in der Schweiz. „Der Bedarf zeigt sich aus unserer langjährigen Beratungsstätigkeit. Wir beraten seit jeher mehrheitlich Frauen. Aufgrund ihres Frauseins, ihrer Tätigkeit in Privathaushalten und ihr Muttersein, werden Sans-Papiers Frauen vor spezifische Herausforderungen gestellt“, erläutert Bea Schwager.

Die Einschulung von Kindern, Abschlüsse von Krankenkassen für schwangere Frauen, Hilfestellungen bei Geburtsregistrierungen und Vaterschaftsanerkennungen sowie Beratungen bei Eheschliessungen, Beratungen zu arbeitsrechtlichen Fragen und zu Regularisierungsmöglichkeiten gehören zu den häufigsten Unterstützungsleistungen der Sans-Papiers Anlaufstelle.

„Der Zugang zu unserer Beratungsstelle ist sehr niederschwellig“, so Bea Schwager. „Viele Sans-Papiers Frauen kommen zu uns, weil sie wegen einer Schwangerschaft oder eines medizinischen Notfalls eine Krankenkasse abschliessen wollen. Nach erstem Kennenlernen ergeben sich dann meist weitere Beratungsthemen. Themen und Sorgen rund um die Mutterschaft, um die Kinderbetreuung, aber auch zu Themen wie Sprache, Finanzen, juristische Belange, Repression, Ausbeutung, allgemeine Lebenssituation.“

Der Bedarf zeige sich aus der Beratungsstatistik: Im Jahr 2018 hat die Sans-Papiers Anlaufstelle 1763 Personen beraten, im Jahr 2019 waren es 2453 Personen, dies ist eine Zunahme gegenüber dem Vorjahr um 39%. Von diesen 2453 Personen handelte es sich bei einer Mehrheit um Frauen, nämlich 1048 oder 42%. 505 Kinder wurden im Jahr 2019 unterstützt, das sind 21%. Mehr als zwei Drittel der Klientinnen und Klienten sind also Frauen und ihre Kinder.

Marginalisierte Sans-Papiers Frauen sollen befähigt werden, sich selbstsicherer in der Gesellschaft zu bewegen. Das Projekt leiste einen Beitrag zur Emanzipation und Integration von hier lebenden und arbeitenden Sans-Papiers Frauen, heisst es im Projektbeschrieb.

Auch solle die Öffentlichkeit zum Thema sensibilisiert werden. Damit leiste das Projekt einen Beitrag für ein friedlicheres und verständnisvolleres Miteinander aller an der Gesellschaft teilhabender Menschen. Genauso sollen Politikerinnen und Politiker und die Behörden auf ihre Verantwortung aufmerksam gemacht werden.

Der Privathaushalt ist ein spezieller Arbeitssektor, heisst es im Projektbeschrieb. Die sogenannte Care-Arbeit werde in der Regel von Frauen verrichtet und geniesse gesellschaftlich einen geringen Stellenwert. Mit der zunehmenden Erwerbstätigkeit von Frauen sei die Care-Arbeit nur in wenigen Fällen im Haushalt intern umverteilt, sondern immer häufiger extern ausgelagert worden.

Der Arbeitssektor Privathaushalt sei ein rasant wachsender Sektor und gehöre mittlerweile weltweit zu einem der grössten Arbeitsmärkte. Eine Studie zu Sans-Papiers im Kanton Zürich komme zur Erkenntnis, dass die Nachfrage nach Arbeitskräften zu Löhnen unter dem orts- und branchenüblichen Niveau die Arbeitsmöglichkeiten der Sans-Papiers stark bestimme. Die Arbeitsnachfrage existiere nicht etwa, weil Menschen ohne Arbeits­ und Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz sind und es also ein Angebot an billigen Arbeitskräften gebe, die nahezu ohne rechtlichen Schutz, zu fast beliebigen Arbeitsbedingungen bereit seien in der Schweiz zu arbeiten.

Die Nachfrage nach irregulären Arbeitskräften gäbe es, weil Arbeitgeber gewisse Arbeitsplätze nicht zu orts- und branchenüblichen Bedingungen und damit nicht mit aufenthaltsberechtigten Personen aus der Schweiz oder aus der regulären Arbeitsmigration besetzen wollten oder könnten.

Gemäss einer Studie von 2010 arbeiten in knapp 6 Prozent aller Haushalte im Kanton Zürich (25 bis 50 Prozent des gesamten Volumens an bezahlter, extern vergebener Hausarbeit im Kanton Zürich) eine geschätzte Zahl von 8’000 Frauen ohne regulären Aufenthaltsstatus als Hausarbeiterin.

Der Verein Sans-Papiers Anlaufstelle Zürich SPAZ wurde anfangs 2005 von Gewerkschaften, dem Colectivo sin Papeles und Vertreterinnen und Vertretern der Vereinigung unabhängiger Ärzt*innen und der Demokratischen Jurist*innen mit dem Ziel eines Aufbaus und Betriebs einer Anlaufstelle für Sans­ Papiers im Grossraum Zürich gegründet. Die Anlaufstelle ist seit Mitte August 2005 in Betrieb.