Regierungen wenden unterschiedliche Standards an und tragen damit zu Straflosigkeit und Instabilität bei, so Amnesty International in einer Medienmitteilung. Menschenrechtsverstösse hätten so überall auf der Welt widerspruchslos stattfinden können oder seien gar angefacht worden.
Die russische Invasion der Ukraine sei ein abschreckendes Beispiel dafür, was passieren könne, wenn Staaten der Ansicht seien, ungestraft gegen Menschenrechte und Völkerrecht verstossen zu können, so Amnesty. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte sei vor 75 Jahren aus der Asche des Zweiten Weltkriegs geschaffen worden. Ihr Herzstück sei die allgemeingültige Anerkennung der Rechte und Grundfreiheiten aller Menschen., so die Mitteilung. Die Menschenrechte sollten ein Leuchtfeuer sein, damit das zunehmend unbeständige und gefährliche Fahrwasser, in dem sich Welt bewege, sicher durchkreuzt werden könne. Man dürfe nicht abwarten, bis die Welt erneut in Flammen stehe.
Der Einmarsch Russlands in die Ukraine habe eine der schwersten humanitären und menschenrechtlichen Krisen in der jüngeren Geschichte Europas ausgelöst, so die Mitteilung. Mit dem Konflikt seien nicht nur massenhafte Vertreibung, Kriegsverbrechen, eine globale Energieverknappung und Ernährungsunsicherheit einher gegangen – auch habe sich die hässliche Fratze eines möglichen Atomkrieges gezeigt.
Der Westen habe umgehend reagiert, indem er Wirtschaftssanktionen über Russland verhängte und militärische Unterstützung in die Ukraine schickte. Der Internationale Strafgerichtshof habe Ermittlungen zu Kriegsverbrechen eingeleitet und die Uno-Generalversammlung habe die russische Invasion als Akt der Aggression verurteilt. Diese resolute und begrüssenswerte Haltung habe jedoch in Gegensatz zur Passivität gestanden, mit der auf frühere schwerwiegende Verstösse Moskaus und anderer Akteure reagiert worden sei.
Europäische Staaten hätten ihre Grenzen für Menschen geöffnet, die aufgrund des russischen Angriffskriegs aus der Ukraine flohen. Allerdings haben viele von ihnen die Türen verschlossen gehalten, wenn es um Menschen ging, die etwa aus Syrien, Afghanistan oder Libyen vor Krieg und Unterdrückung flohen, so Amnesty.
Die Reaktionen auf den russischen Einmarsch in die Ukraine hätten aufgezeigt, was alles möglich sei, wenn nur der nötige politische Wille vorhanden sei. Man habe gesehen, wie russische Völkerrechtsverstösse weltweit verurteilt, Verbrechen untersucht und Grenzen für Geflüchtete geöffnet worden seien. Diese Reaktion müsse eine Vorlage dafür sein, allen schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen entgegenzutreten, so Amnesty.
Trotzdem seien internationale Menschenrechtsnormen je nach Fall unterschiedlich angewendet worden, was eine eklatante Scheinheiligkeit und Doppelmoral offenbare. Staaten könnten nicht im einen Moment Menschenrechtsverletzungen kritisieren und im nächsten dann vergleichbare Aggressionen in anderen Ländern hinnehmen, nur weil ihre Interessen auf dem Spiel stünden. Das sei gewissenlos und untergrabe die Grundprämisse allgemeingültiger Menschenrechte.
In der Schweiz sei die rasche Unterstützung und grosse Solidarität für Geflüchtete aus der Ukraine enorm gewesen, so Amnesty Schweiz. Leider sähen sich Asylsuchende anderer Nationalitäten, denen nur eine vorläufige Aufnahme gewährt wurde, grossen Widrigkeiten gegenüber. Man sollte von den positiven Erfahrungen lernen und die Situation für alle Geflüchteten verbessern.
Mehrere Projekte zur Verbesserung der Lebensbedingungen in den Bundesasylzentren seien zurückgestellt worden. Auch bei Zwangsrückführungen hätten die Behörden wiederholt unnötige Härte an den Tag gelegt. So kritisierte auch die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter die teilweise Fixierung bei Zwangsrückführungen oder die unzureichende Berücksichtigung der Kinderrechte bei Ausschaffungen, so Amnesty weiter.
Im Kapitel des Amnesty-Jahresberichts zur Schweiz wird zudem auf einen Bericht der Uno-Arbeitsgruppe von Sachverständigen für Menschen afrikanischer Abstammung verwiesen. Diese hatte systemischen Rassismus in der Schweiz festgestellt und ein ausdrückliches Verbot von Racial Profiling bei Polizei und Behörden verlangt. Auch Amnesty International empfehle der Schweiz, unabhängige Beschwerdestellen zu schaffen, um Fehlverhalten von Polizeikräften aufzudecken und zu ahnden.
Global betrachtet sei entscheidend, dass die internationalen Institutionen und Systeme, die die Rechte aller Menschen schützen sollen, gestärkt würden statt sie weiter auszuhöhlen, so Amnesty weiter. Hierfür müssten zunächst die Uno-Menschenrechtsmechanismen vollständig finanziert werden. Amnesty International fordere zudem eine Reform des Uno-Sicherheitsrats, des wichtigsten Entscheidungsgremiums der Vereinten Nationen. Vor allem Staaten im Globalen Süden, die bislang häufig ignoriert würden, müssten vermehrt zu Wort kommen und missachtete Menschenrechtsthemen müssten besser beachtet werden.