Mobile Altersarbeit: Ein neuer Ansatz für gute Betreuung im Alter

Mobile Altersarbeit: Ein neuer Ansatz für gute Betreuung im Alter

Mobile Altersarbeit erreicht ältere Menschen dort, wo sie leben – und wird so zum Schlüssel einer würdevollen Betreuung im Alter. Die Paul Schiller Stiftung hat dazu einen Bericht veröffentlicht.

Die meisten älteren Menschen in der Schweiz möchten so lange wie möglich autonom in ihrem vertrauten Zuhause leben – selbstbestimmt, aber gut unterstützt. Das ist nicht nur ihr persönlicher Wunsch, sondern auch gesellschaftlich sinnvoll, denn es entlastet die stationäre Pflege und das Gesundheitssystem. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass Seniorinnen und Senioren weiterhin soziale Kontakte haben und im Alltag begleitet werden. Ohne soziale Kontakte drohen im Alter Einsamkeit und Verwahrlosung, warnen Fachleute. Genau hier setzt die Mobile Altersarbeit an – ein innovativer Ansatz der Altersbetreuung, der ältere Menschen dort aufsucht, wo sie leben und sich aufhalten. Eine neue Publikation der Paul Schiller Stiftung untersucht dieses Arbeitsfeld erstmals systematisch und zeigt seine Bedeutung für die Alterspolitik auf. Im vorliegenden Beitrag fassen wir die wichtigsten Erkenntnisse dieser Studie sachlich zusammen, zitieren an Schlüsselstellen wörtlich aus der Quelle und schlagen Brücken zur Praxis der Sozialdiakonie in der Schweiz, die im Umfeld der reformierten Kantonalkirchen tätig ist.

Ein innovatives Arbeitsfeld: Was ist Mobile Altersarbeit?

Die Paul Schiller Stiftung hat im September 2025 den Bericht „Mobile Altersarbeit in der Schweiz – Ein innovatives Arbeitsfeld für die Betreuung im Alter“ veröffentlicht. Darin wird Mobile Altersarbeit klar umrissen und eingeordnet. Gleich zu Beginn liefert die Studie eine Definition: „Mobile Altersarbeit ist ein neues innovatives Arbeitsfeld der Altersarbeit, das sich den individuellen Lebenssituationen älterer Menschen widmet und deren soziale Einbindung fördert.“ Dieses neue Arbeitsfeld basiert auf den Methoden der Sozialraumorientierung, der aufsuchenden (zugehenden) Sozialarbeit sowie der soziokulturellen Animation. Vereinfacht gesagt bedeutet das: Anstatt darauf zu warten, dass Seniorinnen und Senioren von sich aus Hilfe suchen (das traditionelle Komm-Struktur-Prinzip), geht die Mobile Altersarbeit proaktiv auf die Menschen zu. Fachpersonen der Altersarbeit sind im Alltag präsent – auf Märkten, in Quartieren, Parks, beim Treff oder im Bus – und bauen vor Ort Beziehungen auf. Ziel ist es, ältere Menschen in ihrem direkten Lebensumfeld zu erreichen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und sie durch Information, Vermittlung und Vernetzung bei Bedarf zu unterstützen. So sollen sie möglichst lange selbständig und in Würde im eigenen Zuhause leben können. Oder, wie es im Bericht heisst: Mobile Altersarbeit verfolgt letztlich dasselbe Ziel wie Betreuung überhaupt – sie stärkt die Selbstbestimmung und Lebensqualität der älteren Menschen und wirkt Einsamkeit und Verwahrlosung entgegen.

Charakteristisch für die Mobile Altersarbeit ist ihr niederschwelliger Beziehungsansatz. Kontakte entstehen oft zufällig im Alltag und wachsen zu verlässlichen Vertrauensbeziehungen. „Das A und O mobiler Altersarbeit ist Beziehungsarbeit“, betont Remo Hofmann vom Quartiertreffpunkt Wettstein in Basel. Es gehe nicht darum, möglichst viele Menschen oberflächlich zu erreichen, sondern in kleinem Radius persönliche und vertrauensvolle Kontakte aufzubauen. Die Fachpersonen hören zuerst einmal zu, nehmen die Anliegen der älteren Menschen auf und knüpfen an deren Lebenswelt an. Mobile Altersarbeit schafft dabei häufig erst die Begegnungsorte, die es in einem Wohnviertel womöglich gar nicht gibt – sei es eine Sitzgelegenheit im Park, ein Quartiercafé oder einfach das offene Ohr an der Bushaltestelle. Das Ziel ist, soziale Nähe zu schaffen, erläutert Studienautor Riccardo Pardini, damit die älteren Leute mit Unterstützung möglichst lange zuhause leben können. Es geht also nicht nur um die Vermittlung von Hilfeleistungen, sondern auch um die Förderung der sozialen Teilhabe: Seniorinnen und Senioren sollen ermutigt werden, sich untereinander zu vernetzen und an gemeinschaftlichen Aktivitäten teilzunehmen. Beispielsweise hilft die Mobile Altersarbeit, dass eine bislang zurückgezogene Person den Anschluss an eine Wandergruppe oder einen Jass-Nachmittag findet – je nach ihren Interessen. Man könnte sagen: Mobile Altersarbeit leistet Nachbarschaftshilfe und Gemeinwesensarbeit im besten Sinne, indem sie Beziehungen stiftet, aber immer professionell begleitet.

Praxisbeispiele: Beziehungen knüpfen und Hemmschwellen abbauen

Der Bericht der Paul Schiller Stiftung illustriert das Konzept anhand mehrerer Praxisbeispiele aus verschiedenen Regionen der Deutschschweiz. So wird etwa aus Aarau berichtet, wo das städtische Projekt „Mobile Altersarbeit Aarau (MoA)“ seit einigen Jahren Quartiernetzwerke aufbaut. Ein zentrales Element dort ist der „MoA Träff“ im Telli-Quartier – ein Treffpunkt, der von älteren Menschen mitgestaltet wird. Die 79-jährige Maria-Doina Wälty engagiert sich freiwillig in diesem Treff und beschreibt, wie aus zufälligen Begegnungen neue Kontakte entstanden sind. „Im Alltag, auf der Strasse oder immer, wenn ich im Bus drei Stationen fahre, habe ich einen guten Grund zum Grüezi sagen. Dann spreche ich die Leute darauf an, ob Sie den MoA Träff schon kennen“, erzählt sie aus ihrer Erfahrung. Auf diese Weise hat Frau Wälty zahlreiche ältere Menschen persönlich angesprochen und zum Mitmachen eingeladen – viele davon kommen seither regelmässig in den Treff auf einen Kaffee. „Wir bräuchten eigentlich mehr Männer, aber bei denen weiss ich manchmal nicht so recht“, fügt sie lachend hinzu, „Frauen engagieren sich gerne. Auch wenn jemand am Anfang schüchtern ist: Es geht darum, sie mitzunehmen.“ Die Mobilarbeiterinnen (so werden die Fachpersonen der MoA Aarau genannt) bestärken solche freiwilligen „Schlüsselpersonen“ und beziehen sie aktiv ein. So werden ältere Menschen vom Zielpublikum zu Mitgestaltenden, was ihre Selbstwirksamkeit fördert und dem Treff Leben einhaucht.

Ein anderes Fallbeispiel stammt aus Basel, wo der Quartiertreffpunkt Wettstein mit aufsuchender Altersarbeit experimentiert. Hier geht der soziokulturelle Animator Remo Hofmann regelmässig im Wettstein-Quartier auf die Gasse. Er hat gelernt: Schon die kleinen Distanzen können für Hochbetagte zur Hürde werden. „Zwei Strassen weiter gehen zu müssen, stellt im hohen Alter manchmal eine Hürde dar“, erklärt Hofmann im Bericht. Deshalb sucht er die älteren Quartierbewohnerinnen lieber direkt dort auf, wo sie sind – sei es vor dem Lebensmittelgeschäft, an einer Tramhaltestelle oder bei Seniorenanlässen im Quartierzentrum. Durch kontinuierliche Präsenz und Gespräche „über Gott und die Welt“ hat er Vertrauen aufgebaut, so dass ihn die Menschen kennen und von sich aus ansprechen. „Remo Hofmann kommt zu uns. Wir müssen nicht zu ihm gehen. Das ist eine gute Sache“, zitiert der Bericht eine ältere Basler Quartierbewohnerin zustimmend. Diese persönlichen Beziehungen ermöglichen es, frühzeitig Unterstützungsbedarf zu erkennen. Hofmann erzählt von einem Beispiel, bei dem sich die Senioren aus dem Treff sogar gemeinsam den Besuch einer Dragshow wünschten. Kurzerhand organisierte das Team einen altersgerechten Ausflug – inklusive Abholdienst für jene, die nicht gut zu Fuss sind. Solche Aktionen mögen ungewöhnlich klingen, doch sie zeigen, wie durch partizipative Teilhabe und kreative Angebote das Feuer der Lebensfreude neu entfacht werden kann. Für Hofmann und sein Team ist klar: Soziale Teilhabe und neue Erfahrungen halten auch hochaltrige Menschen seelisch gesund.

Ein drittes Beispiel aus dem Bericht stammt aus dem ländlichen Gantrisch-Gebiet (BE/FR). Dort ist Lisa Loretan als Altersbeauftragte einer regionalen Netzwerkstelle tätig, die zwölf Gemeinden und sechs reformierte Kirchgemeinden gemeinsam geschaffen haben. Loretan ist in dieser Region aufsuchend unterwegs: Sie besucht Seniorennachmittage, Dorfanlässe oder Informationsveranstaltungen in allen Gemeinden und macht sich dadurch bekannt. Ihr Ansatz lautet: „Damit ältere Menschen etwas annehmen können, müssen wir mit aufsuchender Altersarbeit zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein.“ Konkret bedeutet das, Kontinuität und Präsenz zu schaffen, lange bevor ein Notfall eintritt. So schildert sie den Fall einer Frau Zbinden aus dem Gantrisch: Diese pflegte zu Hause ihren betagten Ehemann und hatte Bedenken, was passieren würde, wenn sie einmal ausfalle. Frau Zbinden begegnete Lisa Loretan zunächst mehrmals beiläufig an verschiedenen Anlässen, ehe sie den Mut fasste, ihr Anliegen auszusprechen. „Für Frau Zbinden war entscheidend, dass sie sich in ihrer Lebenswelt abgeholt fühlte“, so Loretan. Im persönlichen Gespräch konnte Loretan der Frau Informationen über Entlastungsangebote geben, ihr vorausschauendes Handeln loben und sogar einen freiwilligen Helfer aus dem Dorf vermitteln, der nun täglich beim Einfeuern des Holzofens hilft. Dieser Fall steht exemplarisch dafür, wie viele unsichtbare Hemmschwellen abgebaut werden müssen, bis ältere Menschen Hilfe in Anspruch nehmen. Gerade die heute hochbetagte Generation scheut sich oft, ihren Unterstützungsbedarf zuzugeben. Sie fühlen sich schnell als „Last“ oder schämen sich, weil sie denken, sie müssten alles allein bewältigen, selbst wenn die Kräfte nachlassen. Durch die behutsame Beziehungsarbeit der Mobilen Altersarbeit – mehrfache Begegnungen, Zuhören, Vertrauen schaffen – entsteht jedoch eine Offenheit, Hilfsangebote anzunehmen. Loretan beobachtet, dass ältere Menschen es sehr schätzen, wenn sich nach einem Erstgespräch jemand wie versprochen wieder bei ihnen meldet und zuverlässig eine Ansprechperson da ist, „die sich ihrer annimmt – wenn nötig anonym oder sehr diskret“.

Diese Beispiele verdeutlichen: Mobile Altersarbeit erreicht oft gerade jene älteren Menschen, die von den bestehenden Angeboten sonst kaum erfasst würden – sei es aus Scham, fehlendem Wissen oder Mobilitätseinschränkungen. Unsichtbare Hürden wie Angst vor Kosten, komplizierte Abläufe oder einfach die Unkenntnis über Unterstützungsmöglichkeiten halten viele Betagte davon ab, sich an offizielle Beratungsstellen zu wenden. Mobile Altersarbeit kann hier eine Versorgungslücke schliessen. Die Präsenz im Alltag und das direkte Zugehen auf die Menschen sorgt dafür, dass gerade jene Personen erreicht werden, die in prekären Situationen leben oder wegen eingeschränkter Mobilität weit entfernte Beratungsstellen nicht aufsuchen können. Die Studie fasst diesen Mehrwert so zusammen: Mobile Altersarbeit wirkt als Brücke zu bestehenden Angeboten und liefert den Gemeinden gleichzeitig wertvolle Hinweise, wo Strukturen weiterentwickelt werden müssen.

Erkenntnisse und Empfehlungen der Studie

Aus den Interviews mit 13 Fachpersonen aus der Praxis und der Auswertung der Fallbeispiele leitet der Bericht mehrere Erfolgsfaktoren und Herausforderungen für die Mobile Altersarbeit ab. Zu den Erfolgsfaktoren zählen etwa: eine klare lokale Verankerung, gute Vernetzung mit bestehenden Diensten, Unterstützung durch die Gemeinde und die Einbindung freiwilliger Helferinnen und Helfer. Entscheidend ist auch eine kontinuierliche Finanzierung, die es erlaubt, kontinuierlich vor Ort präsent zu sein und Beziehungen zu pflegen. Hier zeigt sich eine zentrale Herausforderung: Viele aktuelle Projekte der aufsuchenden Altersarbeit in der Schweiz sind noch Pionierprojekte und oft befristet oder von Stiftungen finanziert. Die Verstetigung solcher Angebote scheitert mancherorts an unsicherer Finanzierung oder fehlender institutioneller Verankerung.

Die Paul Schiller Stiftung kommt daher zum Schluss, dass die Mobile Altersarbeit als feste Struktur verankert werden sollte – idealerweise als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Der Bericht empfiehlt, die Mobile Altersarbeit als Teil des Service public zu etablieren und genügend Ressourcen für kontinuierliche Präsenz, Beziehungsarbeit und Vernetzung bereitzustellen. In einem programmatischen Satz bringt es die Stiftung auf den Punkt: „Wer effektive Altersarbeit mit Blick auf die demografische Entwicklung machen will, der sichert Mobile Altersarbeit als Teil des Service Public.“ Mit anderen Worten: Gemeinden und Kantone sind aufgerufen, aufsuchende Angebote für ältere Menschen in ihre Altersstrategien aufzunehmen und langfristig zu finanzieren – ähnlich, wie dies bei Angeboten für Jugend- oder Gassenarbeit längst selbstverständlich ist. Ergänzend zur Publikation wurde eine praktische Checkliste erarbeitet, die Gemeinden, Verbänden und Organisationen helfen soll, Schritt für Schritt eine Mobile Altersarbeit aufzubauen und zu verstetigen. Darin werden unter anderem konzeptionelle Grundsätze, organisatorische Fragen und Qualitätsmerkmale aufgeführt, die bei der Planung zu beachten sind. So betont die Studie etwa, dass Mobile Angebote lokal verankert sein müssen und mit der Zeit „für die Anwohnenden zum Ort gehören“ – ein Hinweis darauf, wie wichtig Kontinuität und Sichtbarkeit im Quartier sind.

Die Paul Schiller Stiftung ordnet die Mobile Altersarbeit in ihrem Bericht als strategisches Instrument der Alterspolitik ein. Sie sieht grosses Potenzial für Gemeinden, Kantone und Organisationen, durch solche präventiven Ansätze nicht nur die Lebensqualität älterer Menschen zu erhöhen, sondern auch pflegebedingte Kosten zu sparen. Frühzeitige Intervention und Prävention können beispielsweise Spitalaufenthalte oder frühe Heimeintritte vermeiden helfen. In der Schweiz verursacht jede vermeidbare Hospitalisierung im Alter enorme Folgekosten – doch mit guter psychosozialer Betreuung liessen sich viele Krisen abfangen. Eine Studie von 2021 schätzte, dass über 620’000 Menschen über 65 in der Schweiz – sowohl daheim als auch in Heimen – nicht die erforderliche Unterstützung erhalten und insgesamt bis zu 20 Millionen Stunden Betreuungsleistung pro Jahr fehlen. Dies entspricht einem Gegenwert von bis zu 1,6 Milliarden Franken jährlich. Solche Zahlen unterstreichen den Handlungsbedarf in der Alterspolitik. In den letzten Jahren haben deshalb sowohl Fachkreise als auch Politik vermehrt die psychosoziale Betreuung im Alter ins Blickfeld gerückt. So spricht sich der Bund in seinem Gesundheitsförderungs-Programm explizit dafür aus, die Autonomie und Lebensqualität im Alter zu erhalten, um Pflegebedürftigkeit zu verhindern. Konkret werden Ereignisse wie Verwitwung, Pensionierung, Altersarmut oder soziale Isolation als Gesundheitsrisiken im Alter benannt, denen präventiv begegnet werden muss. Modelle wie die Mobile Altersarbeit liefern hierzu ein wichtiges Puzzle-Stück: Zugang zu den Menschen finden, bevor Probleme eskalieren.

Internationaler Vergleich: Wie andere Länder aufsuchend arbeiten

Die Frage drängt sich auf, wie die Mobile Altersarbeit im internationalen Kontext dasteht. Interessanterweise befindet sich die Schweiz hier in guter Gesellschaft von Ländern, die ebenfalls nach neuen Wegen suchen, ältere Menschen präventiv zu erreichen – allerdings oft unter anderen Begriffen. In Deutschland zum Beispiel gibt es vereinzelt Projekte, die man als Vorläufer bezeichnen kann. Hervorzuheben ist das Streetwork-Projekt „SAVE“ in München, bei dem seit 2019 Fachpersonen gezielt vulnerable ältere Menschen im öffentlichen Raum ansprechen und beraten. Das Modell – initiiert von der Arbeiterwohlfahrt München – wurde erfolgreich evaluiert und bereits auf weitere Stadtteile ausgedehnt. Es verfolgt dasselbe Ziel wie die Schweizer Mobile Altersarbeit: soziale Isolation zu verhindern und den Zugang zu Unterstützung zu erleichtern. Gleichzeitig wird in Deutschland auf politischer Ebene über präventive Hausbesuche diskutiert. Der Deutsche Evangelische Verband für Altenarbeit und Pflege (DEVAP) plädiert dafür, allen Menschen ab 75 Jahren jährliche Beratungsbesuche zu Hause anzubieten – finanziert durch die Krankenkassen. „Entscheidend wird sein, ob und wie frühzeitig kritische Lebenslagen alter Menschen erkannt werden können, um Interventionen einzuleiten. Hier bietet sich das Konzept des präventiven Hausbesuchs an“, erklärte DEVAP-Geschäftsführer Wilfried Wesemann 2022 in einem Positionspapier. In Ländern wie Dänemark und den Niederlanden sind solche Hausbesuche bereits etabliert: Dänische Kommunen bieten Bürgerinnen ab 75 Jahren, die keine anderen Hilfen beziehen, zweimal jährlich einen kostenlosen Präventionsbesuch an. In den Niederlanden wurde 2015 der sogenannte „Küchentisch-Check“ eingeführt, bei dem Gemeinden das Unterstützungsbedürfnis von Senioren in einem Hausbesuch abklären. Diese internationalen Vorbilder zeigen, dass aufsuchende Altenarbeit zunehmend als Schlüssel gesehen wird, um die Herausforderungen der alternden Gesellschaft zu bewältigen.

Auch Österreich geht neue Wege: Dort startete 2022 ein vom EU-Wiederaufbaufonds finanziertes Pilotprogramm für Community Nurses, das zunächst in 150 Gemeinden diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerinnen auf kommunaler Ebene einsetzt. Diese Community Nurses fungieren als zentrale Ansprechpersonen für ältere Menschen und ihre Angehörigen und arbeiten eng im Netzwerk mit sozialen und medizinischen Diensten. Ihr Tätigkeitsspektrum ist breit gefächert – von Beratung über Vernetzung bis zur Gesundheitsförderung. Ein besonderer Fokus liegt auch hier auf präventiven Hausbesuchen für Hochbetagte (75+), um frühzeitig Hilfe anzubieten. Langfristig sollen bis zu 500 Gemeinden in Österreich eine Community Nurse erhalten, um flächendeckend eine niederschwellige Betreuung im Wohnumfeld sicherzustellen. Dieses Modell stammt zwar aus der Pflege, hat aber eine ähnliche Stossrichtung wie die Mobile Altersarbeit: lokal verankerte Fachpersonen, die Brücken bauen und präventiv unterstützen.

In Frankreich schliesslich wurde bereits 2014 die nationale Initiative MONALISA (Mobilisation nationale contre l’isolement des âgés) ins Leben gerufen, um der Vereinsamung älterer Menschen entgegenzuwirken. MONALISA ist ein Zusammenschluss von inzwischen über 280 Organisationen, Gemeinden und Initiativen, die gemeinsam Teams von Freiwilligen aufbauen, welche einsame Seniorinnen und Senioren aufsuchen. Die Idee dahinter: Bürgerinnen und Bürger engagieren sich in ihrer Nachbarschaft und kümmern sich als „soziale Patinnen und Paten“ um isolierte ältere Menschen. Das Projekt erhielt staatliche Unterstützung und konnte innerhalb von drei Jahren rund 200 solcher Bürger-Teams in 49 Départements aufbauen. Monalisa setzt stark auf Zivilgesellschaft und Ehrenamt, während die Schweizer Mobile Altersarbeit eher bei professionellen Sozial- und Gemeinwesenarbeitenden verortet ist. Dennoch eint beide Ansätze das Ziel, Isolation im Alter zu verhindern und älteren Menschen das Gefühl zu geben, weiterhin Teil der Gemeinschaft zu sein. Dieser kurze Blick ins Ausland zeigt: Die konkrete Ausgestaltung mag variieren, doch überall wächst die Einsicht, dass aufsuchende Strategien in der Altershilfe immer wichtiger werden. Die Schweiz kann hier sowohl von pionierhaften Projekten wie „Save“ in München lernen, als auch eigene innovative Wege gehen, wie die Mobile Altersarbeit eindrücklich demonstriert.

Rolle der Sozialdiakonie: Kirche unterwegs mit Älteren

Welchen Beitrag kann nun die Sozialdiakonie – speziell im Umfeld der reformierten Landeskirchen – zu diesem Themenfeld leisten? Traditionell engagieren sich die Kirchen in der Altenarbeit vor allem durch Besuchs- und Begleitdienste. In nahezu jeder Kirchgemeinde gibt es Freiwillige, die Seniorinnen und Senioren zuhause besuchen oder zu Gemeindeanlässen abholen. Diese besuchende und aufsuchende Arbeit gehört seit jeher zum diakonischen Auftrag der Kirche. Reformierte Kirchgemeinden verfügen hierfür meist über ausgebildete Sozialdiakoninnen und Sozialdiakone, die solche Angebote koordinieren, sowie über ein dichtes Netz an Ehrenamtlichen. Damit haben die Kirchen wertvolle Ressourcen, um der Vereinsamung im Alter entgegenzuwirken – Ressourcen an Zeit, menschlicher Zuwendung und spiritueller Begleitung, die kein anderer Akteur in dieser Form bereitstellen kann. Die Praxis zeigt: Kirchliche Besuchsdienste und Nachbarschaftshilfen werden von vielen älteren Menschen sehr geschätzt, gerade weil hier oft langjährige vertraute Beziehungen bestehen.

Die neue Studie zur Mobilen Altersarbeit ruft Gemeinden und Organisationen explizit zu Kooperationen auf – und die Kirchen sind hierbei natürliche Partner. Das Fallbeispiel Gantrisch hat es vorgemacht: In diesem ländlichen Netzwerk schlossen sich sechs reformierte Kirchgemeinden mit den zivilen Gemeinden zusammen, um gemeinsam eine Anlaufstelle für Altersfragen aufzubauen. Die Kirchgemeinden bringen lokale Verankerung, Vertrauenswürdigkeit und freiwilliges Engagement ein – Faktoren, die auch der Mobilen Altersarbeit zum Erfolg verhelfen. Sozialdiakonische Fachpersonen können zudem als Brückenbauer fungieren, indem sie zwischen sozialer Unterstützung und seelsorgerlicher Begleitung vermitteln. Viele ältere Menschen öffnen sich gegenüber einer vertrauten Kirchenperson eher mit ihren Sorgen als gegenüber einer unbekannten Amtsstelle. Hier liegt eine Chance: Sozialdiakonie kann die Schwelle weiter senken, indem sie in ökumenischer Offenheit mit kommunalen Alterseinrichtungen kooperiert. In einigen Regionen – etwa Zürich oder Bern – gibt es bereits Projekte, wo Kirchgemeinden aktiv an Caring Communities, Alterstreffs oder generationenübergreifenden Initiativen beteiligt sind. Solche kirchlichen Beiträge passen hervorragend zum Gedanken der Mobilen Altersarbeit, die ja ebenfalls Gemeinschaft fördert und Brücken baut.

Darüber hinaus haben die Kirchen einen einzigartigen Schatz: Sie begleiten Menschen durch alle Lebensphasen, auch im hohen Alter, und tragen wesentlich zu einer Kultur der Fürsorge bei. In einem Meinungsbeitrag formulierte der Theologe Heinz Rüegger provokativ: Die Kirche sollte sich nicht für ihre Überalterung schämen, sondern sich als Laboratorium verstehen, in dem kreative Wege des Älterwerdens erprobt werden – die Kirche als Alterskompetenz-Zentrum, warum nicht? Diese Vision lädt dazu ein, die Rolle der Kirchen in der Alterspolitik neu zu denken. Sozialdiakonie könnte Impulsgeberin sein, damit innovative Modelle wie die Mobile Altersarbeit noch breiter bekannt und unterstützt werden. In der Praxis bedeutet das zum Beispiel, dass Kirchgemeinden ihre Räume öffnen für Alterstreffs oder Sprechstunden der Mobilen Altersarbeit. Oder dass Sozialdiakoninnen im Team von Quartierprojekten mitwirken und die spirituelle Dimension von Lebensqualität ins Gespräch bringen (etwa durch Ritual- und Trauerangebote, Seniorennachmittage mit Sinn-Themen etc.). Die Kirchen können auch politisch Stimme für die Verwundbaren sein und sich – in ökumenischer Zusammenarbeit mit Hilfswerken und Verbänden – für gute Rahmenbedingungen in der Alterspolitik einsetzen.

Nicht zuletzt verfügt die Kirche über eine oft unterschätzte Ressource: ihre älteren Mitglieder selbst. Diese sind nicht nur Empfänger von Betreuung, sondern haben viel zu geben – an Zeit, Erfahrung, Weisheit und Glaubenskraft. Eine zeitgemässe Sozialdiakonie ermutigt Seniorinnen und Senioren, aktiv mitzuwirken und sich ehrenamtlich zu engagieren, sei es in Besuchsdiensten, Nachbarschaftshilfen oder als Gastgeber von Erzählcafés. Die Studie zur Mobilen Altersarbeit zeigt eindrücklich, welch grosser Gewinn es ist, wenn Ältere vom Rand ins Zentrum der Gemeinschaft rücken und mitgestalten (man denke an Frau Wälty in Aarau und ihre Busbekanntschaften). Hier knüpft die Kirche an ihr biblisches Menschenbild an: Jeder Mensch ist einzigartig begabt, bis ins hohe Alter wertvoll und berufen, in Liebe zu wirken. Wenn Sozialdiakonie dieses Potenzial hebt, trägt sie wesentlich dazu bei, dass Altern in Würde möglich ist – im Einklang mit dem Anliegen der Mobilen Altersarbeit und im Dienst am Gemeinwohl.

Die Publikation „Mobile Altersarbeit in der Schweiz“ macht Mut, neue Wege zu gehen, und liefert dafür sachliche Grundlagen. Als Leserin oder Leser dieses Beitrags sind Sie eingeladen, darüber nachzudenken, wie auch Ihr Umfeld – sei es Ihre Kirchgemeinde, Ihre politische Gemeinde oder eine Organisation, in der Sie mitwirken – von den vorgestellten Ansätzen profitieren könnte. Fest steht: Die demografische Entwicklung fordert uns heraus, innovative Antworten zu finden. Mobile Altersarbeit ist eine solche Antwort. Sie stellt den Menschen in den Mittelpunkt, baut Vertrauensbrücken und sorgt dafür, dass Betreuung dort ankommt, wo die Menschen leben. Damit ältere Menschen in der Schweiz die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, braucht es ein Zusammenspiel aller Akteure: Staatliche Stellen, Gemeinden, Fachorganisationen und nicht zuletzt die Kirchen. Gemeinsam können wir – Gesellschaft, Diakonie und Politik – dafür sorgen, dass niemand im Alter durchs Netz fällt. Oder um es in den Worten einer Altersbeauftragten zu sagen: Wir müssen zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein.