Multireligiöse Begleitung im Kanton Bern: Ein Modell für spirituelle Unterstützung in Notlagen

26. Juni 2025

Ein Berner Verein ermöglicht spirituelle Begleitung durch ehrenamtliche multireligiöse Teams – professionell ausgebildet, koordiniert und evaluiert.

Wenn Menschen in eine gesundheitliche oder soziale Krise geraten, rücken religiöse und kulturelle Fragen oft ins Zentrum. Gerade in solchen existenziellen Situationen suchen Betroffene nach spiritueller Begleitung, die nicht nur auf ihre Glaubensüberzeugungen, sondern auch auf ihre Sprache und kulturellen Hintergründe eingeht. In der Schweiz bietet ein Projekt im Kanton Bern genau das: multireligiöse Begleitungen durch geschulte Ehrenamtliche, so der Blog “knoten & maschen” der Berner Fachhochschule Soziale Arbeit.

Hintergrund ist ein Bedürfnis, das bereits Anfang der 2000er-Jahre im Berner Inselspital sichtbar wurde. Damals bekannten sich rund 20 Prozent der Patientinnen und Patienten zu nicht-christlichen Religionen. Das Spital reagierte mit einem Netzwerk von ehrenamtlichen Begleitpersonen aus verschiedenen Religionsgemeinschaften. Doch das System war unzureichend: Es fehlten Qualitätsstandards, eine professionelle Koordination sowie rechtliche und finanzielle Absicherungen.

2019 wurde deshalb ein neues Modell lanciert. Auf Initiative der Interkonfessionellen Konferenz des Kantons Bern und in Zusammenarbeit mit der Spitalseelsorge und dem Haus der Religionen formulierten Vertreterinnen und Vertreter aus sechs Religionsgemeinschaften gemeinsam getragene ethische und fachliche Standards. Daraus entwickelte sich eine strukturierte Fortbildung und der «Verein Multireligiöse Begleitung», der seitdem über Spitäler, Altersinstitutionen, Asylzentren und Gefängnisse hinweg tätig ist.

Das Ziel ist klar formuliert: Jede Person soll die spirituelle Unterstützung erhalten, die sie sich wünscht – unabhängig von religiöser Zugehörigkeit. Aktuell stehen 38 geschulte Begleitpersonen aus alevitischen, buddhistischen, christlich-orthodoxen, hinduistischen, jüdischen, muslimischen und konfessionsfreien Kontexten im Einsatz. Bis Mai 2025 wurden bereits 636 Begleitungen gezählt. Die ehrenamtlich Tätigen erhalten eine Entschädigung, werden koordiniert, begleitet und kontinuierlich fortgebildet.

Ein zentrales Element der Ausbildung ist das Erlernen von Präsenz – auch in der Stille. «Selbst wenn wir keine grossen Gespräche führen, ist die Begleitung einfach für einen da», beschreibt eine begleitete Person ihre Erfahrung. Auch die Vielfalt innerhalb der Religionen wird berücksichtigt, ebenso wie der Zugang für konfessionsfreie Menschen. Der interreligiöse Austausch zeigt dabei erstaunliche Wirkungen: So wünschte sich ein christlicher Patient nach dem Besuch eines hinduistischen Begleiters, dass auch für ihn ein Lied aus einer anderen Tradition gesungen werde.

Die Berner Fachhochschule hat das Angebot wissenschaftlich evaluiert. Fazit: Spirituelle Begleitung kann eine bedeutende Ressource für Menschen in Notlagen sein. In einer Zeit gesellschaftlicher Polarisierung leistet der Verein über die spirituelle Hilfe hinaus einen Beitrag zum Dialog, zur Anerkennung religiöser Vielfalt und zur Sichtbarkeit unbezahlter Care-Arbeit.

Finanziert wird das Projekt durch den Kanton Bern. Die Fortbildungen und Evaluationen werden unter anderem von der Berner Fachhochschule verantwortet. Projektverantwortliche wie Prof. Dr. Andrea Abraham und Pascal Mösli betonen die Bedeutung einer sensiblen, reflektierten und professionellen Herangehensweise an die spirituellen Bedürfnisse von Menschen in existenziellen Lebenslagen.