Organtransplantation ist ein Thema, das ethische, medizinische und theologische Fragen aufwirft. Am 1. Mai 2024 hat der Bundesrat die Vernehmlassung zu einer Teilrevision der Transplantationsverordnung eröffnet. Diese Anpassungen sind erforderlich, um die Einführung der erweiterten Widerspruchsregelung im Bereich der Spende von Organen, Geweben und Zellen umzusetzen.
Bereits am 15. Mai 2022 hatte das Schweizer Stimmvolk der Einführung dieser Regelung zugestimmt. Sie sieht vor, dass jede Person automatisch als Organspenderin gilt, sofern sie resp. ihre Vertrauensperson oder Angehörigen nicht ausdrücklich widerspricht. Die nun vorgeschlagenen Verordnungsanpassungen konkretisieren die Umsetzung dieser Regelung und sollen sicherstellen, dass sie in der Praxis reibungslos eingeführt werden kann.
In einem enorm leistungsfähigen Gesundheitswesen nimmt die Transplantationsmedizin eine Sonderstellung ein: Bei der postmortalen Organspende wird das Leben einer lebensbedrohlich erkrankten Person gerettet durch die Verpflanzung der Organe einer «verstorbenen» Person. Die spendende Person stirbt nicht wegen oder an der Organspende, sondern ihr (Hirn-)Tod bildet die Voraussetzung für eine Spende, die der empfangenden Person ein Leben mit neuer Lebensqualität und -perspektive ermöglicht.
Es gibt nur drei Konstellationen, in denen Leben und Tod so unmittelbar zusammenrücken: der tragische Tod der Mutter oder ihres Kindes während der Schwangerschaft oder bei der Geburt; das Opfer, bei der eine Person ihr Leben für das Leben einer anderen Person hingibt, und die Spende, bei der eine Person im Falle ihres (Hirn-)Todes ihre Organe hergibt, damit eine andere Person leben kann.
Trotz der gewaltigen Unterschiede handelt es sich um schicksalhafte und existenzielle Grenzsituationen, die alle Möglichkeiten rationaler Überlegung, Einordnung und Verarbeitung überschreiten. Und es sind Ereignisse, in denen die Abgrenzung und Unterscheidung zwischen den Personen und ihren Schicksalen verschwimmt. Es braucht keine besondere religiöse oder metaphysische Begabung, um eine Mitmenschlichkeit zu erahnen, die sich rein kognitiven und wissenschaftlichen Beschreibungen entzieht.
Die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz hat sich in den politischen Debatten zur Organspende immer klar positioniert. Ja, zur Organspende – nein zu einem Spendenautomatismus, der die Würde, die in der unbedingt schützenswerten körperlichen Integrität der Person zum Ausdruck kommt und mit dem Tod nicht endet, einem technischen Zweck-Mittel-Denken unterordnet.
Die biblischen und christlichen Traditionen setzen der menschlichen Hingabe an die Mitmenschen keine Grenzen, sofern sie nicht in eigennützigen Motiven gründet und auf fremdem Zwang beruht. Sowohl die Selbsthingabe des eigenen Körpers als auch die Verweigerung der Organspende können in gleicher Weise den Respekt gegenüber dem Geschenk des eigenen Lebens ausdrücken.
Bei der Organspende handelt es sich einen moralischen Anspruch, der nicht allgemein verpflichtend gemacht werden kann, sondern die eine Person nur sich selbst gegenüber einfordern kann. Dagegen besteht eine starke Verpflichtung gegenüber der Autonomie der Person und dem Respekt gegenüber ihrer Entscheidungsfreiheit. Schliesslich kommt dem Gerechtigkeitsprinzip bei der Organverteilung eine herausragende Bedeutung zu. Der Handel mit und Kauf von Organen ist genauso ein Verbrechen, wie das Umgehen und die Manipulation von Wartelisten und Verteilungsverfahren.
Das fundamentale Problem der Widerspruchslösung besteht darin, dass sie mit der Konstruktion des Persönlichkeitsschutzes liberaler Rechtsstaaten kollidiert. Der in der Verfassungspräambel formulierte Zusammenhang zwischen der «Stärke des Volkes» und dem «Wohl der Schwachen» kommt darin zum Ausdruck, dass jede Person ihre Grund- und Persönlichkeitsrechte geschützt weiss – und zwar unabhängig davon, ob sie dafür eintritt und eintreten kann oder nicht. Mit der Widerspruchslösung ist der Schutz der körperlichen Integrität, der mit dem Tod der Person nicht endet, nicht mehr «von selbst» garantiert, sondern muss von der Person durch ihren Widerspruch aktiv geltend gemacht werden. Genau genommen ist liberalen Bürger:innen eine solche Zumutung im Blick auf den Schutz ihrer grundlegenden Rechte fremd. Im Kern widerspricht sie komplett ihrer Vertrauenslogik.
Dieser Beitrag ist eine gekürzte Version des Interviews der EKS mit Frank Mathwig.
Info: Der Rat EKS zur aktuellen Teilrevision
Die Vernehmlassungsantwort des Rates EKS fokussiert auf drei Aspekte: 1. Das Verfahren zur Feststellung eines möglichen Widerspruchs im medizinischen Transplantationsprozess, der durch einen hohen Zeitdruck gekennzeichnet ist. Der Rat verweist auf problematische Inkohärenzen zwischen der Verordnung und den geltenden medizin-ethischen Richtlinien. 2. Überarbeitungsbedürftig aus Sicht des Rates sind darüber hinaus die Bestimmungen zu den medizinischen Vorbereitungsmassnahmen für die Organentnahme. Sie sind nicht Teil der medizinischen Behandlung oder Betreuung der sterbenden Person und deshalb nur erlaubt, wenn geklärt ist, dass kein Widerspruch der Person, einer Vertrauensperson und der Angehörigen vorliegt. 3. Intransparent, unverhältnismässig und unklar bei den Zuständigkeiten ist die Regelung zur gesellschaftlichen Etablierung, Kommunikation, Feststellung und Organisation der Widerspruchslösung. Exemplarisch dafür setzt der Verordnungsentwurf Swisstransplant neu zwei Hüte auf. Zu ihren bisherigen Aufgaben soll die Organisation gewissermassen contre cœur neu auch dafür zuständig sein, dass jede Person über ihre Widerspruchsmöglichkeit informiert und in die Lage versetzt wird, davon auch tatsächlich Gebrauch zu machen. Swisstransplant ist heute zuständig für die Organverteilung, tritt als Advokatin für schwerstkranke Personen auf, die dringend eine Organspende benötigen, und engagiert sich für eine Erhöhung der Spendenbereitschaft in der Gesellschaft. Diese unverzichtbare Arbeit sollte nicht durch zusätzliche Aufgaben belastet oder gefährdet werden, die eindeutig zum staatlichen Pflichtenheft gehören.