Pro Senectute Schweiz präsentiert eine neuen, repräsentativen Erhebung: Jede neunte Person ab 60 Jahren hat im häuslichen Betreuungsalltag bereits Gewalt erlebt oder beobachtet, teilte die Organisation mit. Zugleich gibt rund ein Fünftel der Befragten an, Gewalt in der Betreuung älterer Menschen nicht einordnen zu können – ein Hinweis darauf, dass das Bewusstsein für das Thema weiterhin lückenhaft ist. «Gewalt im Alter wird oft nicht als solche erkannt», wird Direktor Alain Huber in einer Medienmitteilung zitiert. Die von gfs-zürich im Juni 2025 telefonisch erhobene Befragung umfasst 1’204 Frauen und Männer ab 60 Jahren aus allen Sprachregionen und gilt nach Angaben des Instituts als repräsentativ für die Bevölkerung 60+.
Auf die Frage, was unter «Gewalt in der Betreuung» verstanden wird, nennen zwei von fünf Befragten psychische Gewalt – etwa Demütigung, Einschüchterung oder Manipulation. Dicht dahinter folgen körperliche Gewalt wie Schläge, Stösse oder grobes Anfassen (38 Prozent) sowie verbale Übergriffe (etwas mehr als ein Viertel). Etwas mehr als jede fünfte Person versteht darunter Vernachlässigung. Praktisch niemand denkt an Betrugsformen wie Finanzmissbrauch, hält Pro Senectute Schweiz fest. «Gerade auf weniger bekannte Gewaltformen wie Finanzmissbrauch muss künftig noch besser aufmerksam gemacht werden», betont Huber gemäss Mitteilung.
Besonders bedenklich sei das fehlende Problembewusstsein in Teilen der älteren Bevölkerung, heisst es weiter. «Im Beratungsalltag berichten ältere Menschen häufig von Gewaltvorkommnissen, welche sie vor dem Beratungsgespräch nicht als solche erkannt hatten», erklärt Paolo Nodari, Direktor von Pro Senectute Ticino e Moesano, eine der drei Gründungsorganisationen des Nationalen Kompetenzzentrums Alter ohne Gewalt.
Als häufigste Ursachen für Gewalt nennen Befragte Überforderung, Zeitdruck und Stress. Entlastung leistende Angebote, bessere Schulungen – etwa Deeskalationstrainings oder Schulungen zum Umgang mit Demenz – sowie Coaching für betreuende Bezugspersonen werden am häufigsten als Präventionsmassnahmen gewünscht. Die Befunde beziehen sich ausdrücklich auf Betreuung zu Hause, also nicht-medizinische Unterstützung in den eigenen vier Wänden, und nicht auf Pflegeleistungen. Zum Vergleich verweist Pro Senectute Schweiz auf Schätzungen des Bundes, wonach jährlich bis zu 500’000 Personen ab 60 Jahren von Gewalt oder Vernachlässigung betroffen sind – zu Hause wie im Heim.
Pro Senectute Schweiz, die nach eigenen Angaben mit über 1’500 Mitarbeitenden und 17’700 Freiwilligen in über 130 Beratungsstellen tätig ist, fordert daher «verstärkte Massnahmen» und mehr Sensibilisierung – insbesondere für weniger sichtbare Formen wie Finanzmissbrauch. Ziel sei es, Seniorinnen und Senioren sowie ihre Angehörigen so zu unterstützen, dass ein möglichst selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden möglich bleibt.
