Überblick

Studien zur kirchlichen Leistungsmessung

Zusammenfassungen und Thesen

Einleitung

Die meisten – nicht jedoch alle – evangelisch-reformierten Kirchen der Schweiz erhalten Kirchensteuern von natürlichen und zuweilen auch juristischen Personen. In einzelnen Kantonen leistet die öffentliche Hand Staatsbeiträge neben oder anstelle der steuerhoheitlichen Befugnisse. Auch bestehen in einzelnen Kirchen vertragliche Vereinbarungen zwischen Staat und Kirchen, nach welchen die Kirchen im Auftrag des Staates vereinbarte Leistungen erbringen.

Die Kirchen konnten die Beiträge bislang oft voraussetzungs- und bedingungslos verwenden. Vor rund einem Jahrzehnt erfolgten in einzelnen Kantonen erste staatliche Vorgaben und Bestimmungen, welche die Mittel an bestimmte Bedingungen geknüpft haben. So durften die Mittel zum Beispiel nicht für kultische Zwecke eingesetzt oder nur noch für Aktivitäten mit gesamtgesellschaftlicher Bedeutung eingesetzt werden.

Die Kirchen wurden damit rechenschaftspflichtig. Sie mussten die finanzierungsberechtigten Leistungen erfassen und nachweisen, dass nur diesen die öffentliche Finanzierung zukommt beziehungsweise dass der hochgerechnete Gegenwert der kirchlichen Leistungen dem Wert des erhaltenen Beitrags emtspricht oder diesen übertrifft.

Folgend geben wir einen Überblick zu solchen Erhebungen.

 

Baselland

Studienanlage

Die drei Landeskirchen des Kantons Basel-Landschaft haben nach 2010 eine erneute Studie über «die sozialen Leistungen der Landeskirchen des Kantons Basel-Land-schaft» erstellen lassen.

Die mit der Durchführung beauftragte FHNW wählte ein exemplarisches Verfahren aus, indem 14 Kirchgemeinen aus 5 Gruppen ausgewählt wurden und daraus ein öko-nomischer Gegenwert der erbrachten sozialen und karitativen Leistungen für den ganzen Kanton hochgerechnet wurde.

Ergebnisse

Als erstes Ergebnis benennt die Studie hochgerechnet rund 2’300 betreffende Angebote im ganzen Kanton, die über eine halbe Million Nutzerinnen und Nutzer (mehrfache Nutzung) ausweisen und die nach betreffenden Zielgruppen eingeteilt werden (Kinder und Jugendliche, Partnerschaft und Familie, Seniorinnen und Senioren, etc.).

Den Kern der Studie bildet der Ausweis an Arbeitszeit in sozialen Belangen durch An-gestellte und Freiwillige innerhalb der Kirchen. Erhoben wurden gut 500’000 Einsatzstunden, die einen ökonomischen Lohngegenwert von rund CHF 21 Mio. ausmachen. Darin enthalten ist ein Anteil der freiwilligen bzw. ehrenamtlichen Arbeit, die einen Lohngegenwert von rund CHF 16 Mio. ausmacht.

Ergänzt wird diese Zahl durch drei weitere erhobene Faktoren:

i. «die durch die diversen sozialen Angebote der Kirchgemeinden erwirtschaftete und erfasste Geldsumme»: ca. CHF 9 Mio.
ii. soziale Leistungen der kantonalen Fachstellen und Spezialpfarrämter: ca. CHF 3 Mio.
iii. Unterstützung von Institutionen im In- und Ausland: ca. CHF 1 Mio.

Die gesamthaften sozialen Leistungen der Landeskirchen werden somit auf über CHF 33 Mio. beziffert.

Kommentierungen

In den Kommentierungen der Studie heben die Landeskirchen hervor: die Studie beweise, dass «die Kirchen zu den wichtigsten sozialen Leistungserbringerinnen in der Schweiz gehören».

Bern-Jura-Solothurn

Studienanlage

Die Landeskirchen im Kanton Bern müssen gemäss dem revidierten Landeskirchengesetz neu ihre Tätigkeiten zugunsten der Bevölkerung darlegen.

Der diesbezügliche Bericht ist demnach der erste seiner Art und umfasst die Jahre 2020 und 2021, die stark von der Corona-Pandemie geprägt waren. Die Erhebung umfasst einen quantitativen und einen qualitativen Teil.

Ergebnisse quantitativ

Der Bericht weist Ergebnisse für die drei Ebenen des kirchlichen Wirkens aus (Kirchgemeinden, regionale Stellen, Kantonalkirche). In konsolidierter Hinsicht weist die Kirche gesamtgesellschaftliche Leistungen aller drei Ebenen (noch ohne Freiwilligenarbeit) im Umfang von CHF 143 Mio. aus und beziffert diesen Wert mit 72 Prozent des Gesamtumsatzes. Dabei entfällt der grösste Anteil (CHF 103 Mio.) auf die Ebene der Kirchgemeinden.

Die im bernischen Kirchengebiet erbrachten freiwilligen und ehrenamtlichen Leistungen werden auf knapp 600’000 Stunden pro Jahr summiert, was einem ökonomischen Gegenwert von etwa 31,5 Mio. CHF entspricht. Beide Teile zusammen summieren sich auf gesamtgesellschaftliche Leistungen von übe CHF 174 Mio. pro Jahr.

Der Kanton leistet mit seinem Staatsbeitrag im Umfang von CHF 25 Mio. eine Abgeltung für die gesamtgesellschaftlichen Leistungen der Kirchen. Der Staatsbetrag macht somit lediglich rund 14 Prozent aller von der bernischen Kirche erbrachten gesamtge-sellschaftlichen Leistungen aus.

Ergebnisse qualitativ

Im qualitativen Teil weist der Bericht eine Spartensegmentierung der erbrachten gesamtgesellschaftlichen Leistungen aus. D.h. die Leistungen werden gruppiert und je inhaltlich beschrieben, namentlich in den Bereichen – Bildung (KUW, Erwachsenenbildung, Öffentlichkeitsarbeit), – Soziales (Kinder- und Jugendarbeit, Beratungsstellen, Altersarbeit, Menschen mit Beeinträchtigungen, Migration) sowie – darüber hinausgehende Leistungen in den Bereichen des Religionsfriedens, der Seel-sorge, Kirchenbauten und Kirchenmusik.

Nicht zuletzt verweist der Bericht auf die von den Kirchen und Kirchgemeinden geleistete Unterstützung Dritter und damit der Kirche als Wirtschaftsfaktor.

Zürich

Studienanlage

Für die «Leistungen mit gesamtgesellschaftlicher Bedeutung» erhalten die Landeskirchen jährlich insgesamt CHF 50 Mio. an Staatsbeiträgen; zur Evaluation dieses Beitrags wurden in der Vergangenheit bereits mehrere Studien erstellt. Im Herbst 2023 ist eine neue Studie erschienen (erstellt von der Universität Zürich im Auftrag der Regierung und der Landeskirchen), die die Angebote der Landeskirchen und deren Nutzung durch die kantonale Bevölkerung untersucht.

Die Studie konzentriert sich auf quantifizierbare Leistungen. Ein qualitativer Teil (Bedeutung religiöser Tätigkeiten für die Gesamtgesellschaft bspw. in den Bereichen des sozialen Zusammenhalts, der Wertevermittelung u.a.) folgt im Jahr 2024.

Ergebnisse

Gemäss Studie erbringen die Kirchen ähnlich viele Leistungen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung wie bei der Vorgängerstudie von 2017; die Leistungen sind zu-dem gut legitimiert und in der Bevölkerung erwünscht.

Die Nutzung der kirchlichen Angebote hat jedoch massiv abgenommen, v.a. bei der unter 45-jährigen Bevölkerung. Ebenso ist die Bekanntheit der Angebote deutlich geringer geworden. Die Studie spricht daher von einem «massiven Bedeutungsverlust» kirchlicher Angebote.

Besonders kritisch äussert sich die Studie zum Engagement der Landeskirchen während der Corona-Pandemie, das als «vornehmlich reaktiv» beschrieben wird.

Empfehlungen

Aufgrund der Ergebnisse empfehlen die Studienautoren dem Kanton u.a., «im Hinblick auf die kommende Finanzierungsperiode den bisherigen finanziellen Rahmen zu diskutieren» sowie von den Landeskirchen erhöhte Transparenz in der Mittelverwendung einzufordern.

Kommentierungen

Von Seiten des Kantons sowie der Landeskirchen wird festgehalten, dass zum jetzigen Zeitpunkt eine Reduktion des Finanzrahmens nicht angebracht sei.

Thesen zur Diskussion

Die Konferenz Diakonie Schweiz hat mit dem Dokument «Öffentliche Finanzierung der Diakonie» ein erstes Mal auf die Auswirkungen der öffentlichen Finanzierungsmechanismen der Kirchen auf das diakonische Wirken aufmerksam gemacht. Die vorliegenden Beispiele zeugen davon, dass die Kirchen mehr und mehr rechenschaftspflichtig werden, um ihre Tätigkeit in refinanzierungsberechtigte und nicht-refinanzierungsberechtigte Leistungen zu unterteilen und die Verwendung der Mittel auszuweisen. Die Studien aus Zürich (durchgeführt von Externen) und in Bern (durchgeführt von der Kirche) sind Ausdruck von dieser Verpflichtung. Die Erhebung in Baselland erfolgte auf eigenen Anlass der Kirchen hin.

Aus binnenkirchlicher Sicht legt es sich nahe, das «Heft» möglichst «selber in der Hand» zu halten und proaktiv selber Studien durchzuführen, um die Interpretationshoheit über die Leistungen zu behalten. Die Situation in Zürich zeigt, dass bei externen Dritten als Studienverantwortlichen rasch Folgerungen auftreten, die weitergehen als staatliche und kirchliche Positionen.

Im Dokument «Öffentliche Finanzierung der Diakonie» wurde auf die ambivalenten Auswirkungen der Leistungserhebungen aufmerksam gemacht, wonach die Studien einerseits geeignet sind, die Leistungen der Kirchen besser sichtbar zu machen, dass sie aber andererseits auch zu einer verstärkten Abhängigkeit gegenüber den Steuerungsimpulsen des Staates führen.

Die vorliegenden Studien scheinen beide Seiten dieser Ambivalenz abzudecken. Auf der einen Seite gelingt es mit den Studien, auf die hohe gesellschaftliche Bedeutung der kirchlichen Leistungen aufmerksam zu machen (v.a. BE, BL); auf der anderen Seite bewahrheitet sich auch der Trend zur grösseren staatlichen Abhängigkeit, gerade mit Blick auf die Empfehlungen in der Zürcher Studie.

Im Konferenz-Dokument wurde ein Stufenmodell der staatlichen Abhängigkeit konstruiert, das Etappen auf einer Achse der zunehmenden staatlichen Steuerungseingriffe darstellt. Die aktuelle Situation in Zürich scheint hierzu ein weit fortgeschrittenes Stadium der staatlichen Eingriffe zu verzeichnen: Wie erwartet werden bei Wiederholungen von Studien (von 2017 bis 2023) unweigerlich Vergleiche angestellt und Schlussfolgerungen gezogen, die i.d.R. aus binnenkirchlicher Warte negativ konnotiert sind. Die Situation in Zürich befindet sich gemäss dieser Einschätzung bereits an der Schwelle von Stufe 2 zu Stufe 3.

Die drei Studien zeigen auf, dass die methodische Vorgehensweise je sehr unterschiedlich erfolgte. Während in Baselland eine rein quantitative Erhebung der kirchlichen Leistungen erfolgte, so wird dieser in Zürich mit einer Perspektive der Nutzung durch die Bevölkerung ergänzt. Eine qualitative Auswertung steht in Zürich erst an, in Bern ist diese bereits enthalten (wobei über den Inhalt von qualitativen Settings zu diskutieren wäre). Auffallend ist bspw. dass die freiwilligen Leistungen in konfessionell gemischten Kan-ton Baselland (Gesamtbevölkerung: 290’000 Personen) einen ökonomischen Gegenwert von CHF 16 Mio. ausmachen, währenddessen dieser Wert im reformiert geprägten und drei Mal grösseren Kanton Bern (Gesamtbevölkerung: 1 Mio. Personen) lediglich doppelt so hoch (CHF 31,5 Mio.) beziffert wird.

Ggf. wäre eine vergleichende Perspektive auf die drei Studien hilfreich und sinnvoll, um je Eigenheiten der drei Studien erkennen zu können.