Überblick
Studien zur kirchlichen LeistungsmessungZusammenfassungen und Thesen
Einleitung
In verschiedenen Kantonen sind Studien zur kirchlichen Leistungsmessung erschienen. Sie zielen darauf ab, die Leistungen und Wirkungen der Landeskirchen zugunsten der gesamten Gesellschaft in quantitativer und/oder qualitativer Hinsicht zu beschreiben und transparent zu machen. Zur Beschreibung der gesamtgesellschaftlichen Leistungen steht das diakonische Wirken der Kirchen besonders im Schaufenster. Mit solchen Studien betreten die meisten Kantone und Kirchen inhaltliches und methodisches Neuland.
In der Konferenz Diakonie Schweiz besteht daher ein erhebliches Interesse an der Kenntnisnahme und kritischen Diskussion der vorliegenden Studien.
Das vorliegende Dokument fasst die kürzlich präsentierten vier Studien zusammen und bündelt die wichtigsten Ergebnisse abschliessend in Thesen.
Die Konferenz Diakonie Schweiz hat sich mit dem Dokument «öffentliche Finanzierung der Diakonie» bereits in genereller Hinsicht mit der Frage nach der diakonischen Leistungsmessung in Kirchen auseinandergesetzt.
1. Studie: «Die sozialen Leistungen der Landeskirchen des Kantons Basel-Landschaft» der Landeskirchen Baselland
Studienanlage
Die drei Landeskirchen des Kantons Basel-Landschaft haben nach 2010 eine erneute Studie über «die sozialen Leistungen der Landeskirchen des Kantons Basel-Land-schaft» erstellen lassen.
Die mit der Durchführung beauftragte FHNW wählte ein exemplarisches Verfahren aus, indem 14 Kirchgemeinen aus 5 Gruppen ausgewählt wurden und daraus ein öko-nomischer Gegenwert der erbrachten sozialen und karitativen Leistungen für den ganzen Kanton hochgerechnet wurde.
Ergebnisse
Als erstes Ergebnis benennt die Studie hochgerechnet rund 2’300 betreffende Angebote im ganzen Kanton, die über eine halbe Million Nutzerinnen und Nutzer (mehrfache Nutzung) ausweisen und die nach betreffenden Zielgruppen eingeteilt werden (Kinder und Jugendliche, Partnerschaft und Familie, Seniorinnen und Senioren, etc.).
Den Kern der Studie bildet der Ausweis an Arbeitszeit in sozialen Belangen durch An-gestellte und Freiwillige innerhalb der Kirchen. Erhoben wurden gut 500’000 Einsatzstunden, die einen ökonomischen Lohngegenwert von rund CHF 21 Mio. ausmachen. Darin enthalten ist ein Anteil der freiwilligen bzw. ehrenamtlichen Arbeit, die einen Lohngegenwert von rund CHF 16 Mio. ausmacht.
Ergänzt wird diese Zahl durch drei weitere erhobene Faktoren:
i. «die durch die diversen sozialen Angebote der Kirchgemeinden erwirtschaftete und erfasste Geldsumme»: ca. CHF 9 Mio.
ii. soziale Leistungen der kantonalen Fachstellen und Spezialpfarrämter: ca. CHF 3 Mio.
iii. Unterstützung von Institutionen im In- und Ausland: ca. CHF 1 Mio.
Die gesamthaften sozialen Leistungen der Landeskirchen werden somit auf über CHF 33 Mio. beziffert.
Kommentierungen
In den Kommentierungen der Studie heben die Landeskirchen hervor: die Studie beweise, dass «die Kirchen zu den wichtigsten sozialen Leistungserbringerinnen in der Schweiz gehören».
2. Studie «Bericht zu den Leistungen im gesamtgesellschaftlichen Interesse 2020–2021» der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn
Studienanlage
Die Landeskirchen im Kanton Bern müssen gemäss dem revidierten Landeskirchengesetz neu ihre Tätigkeiten zugunsten der Bevölkerung darlegen.
Der diesbezügliche Bericht ist demnach der erste seiner Art und umfasst die Jahre 2020 und 2021, die stark von der Corona-Pandemie geprägt waren. Die Erhebung umfasst einen quantitativen und einen qualitativen Teil.
Ergebnisse quantitativ
Der Bericht weist Ergebnisse für die drei Ebenen des kirchlichen Wirkens aus (Kirchgemeinden, regionale Stellen, Kantonalkirche). In konsolidierter Hinsicht weist die Kirche gesamtgesellschaftliche Leistungen aller drei Ebenen (noch ohne Freiwilligenarbeit) im Umfang von CHF 143 Mio. aus und beziffert diesen Wert mit 72 Prozent des Gesamtumsatzes. Dabei entfällt der grösste Anteil (CHF 103 Mio.) auf die Ebene der Kirchgemeinden.
Die im bernischen Kirchengebiet erbrachten freiwilligen und ehrenamtlichen Leistungen werden auf knapp 600’000 Stunden pro Jahr summiert, was einem ökonomischen Gegenwert von etwa 31,5 Mio. CHF entspricht. Beide Teile zusammen summieren sich auf gesamtgesellschaftliche Leistungen von übe CHF 174 Mio. pro Jahr.
Der Kanton leistet mit seinem Staatsbeitrag im Umfang von CHF 25 Mio. eine Abgeltung für die gesamtgesellschaftlichen Leistungen der Kirchen. Der Staatsbetrag macht somit lediglich rund 14 Prozent aller von der bernischen Kirche erbrachten gesamtge-sellschaftlichen Leistungen aus.
Ergebnisse qualitativ
Im qualitativen Teil weist der Bericht eine Spartensegmentierung der erbrachten gesamtgesellschaftlichen Leistungen aus. D.h. die Leistungen werden gruppiert und je inhaltlich beschrieben, namentlich in den Bereichen – Bildung (KUW, Erwachsenenbildung, Öffentlichkeitsarbeit), – Soziales (Kinder- und Jugendarbeit, Beratungsstellen, Altersarbeit, Menschen mit Beeinträchtigungen, Migration) sowie – darüber hinausgehende Leistungen in den Bereichen des Religionsfriedens, der Seel-sorge, Kirchenbauten und Kirchenmusik.
Nicht zuletzt verweist der Bericht auf die von den Kirchen und Kirchgemeinden geleistete Unterstützung Dritter und damit der Kirche als Wirtschaftsfaktor.
3. Studie «Kirchliche Tätigkeiten mit gesamtgesellschaftlicher Bedeutung im Kanton Zürich» von Kanton und Landeskirchen in Zürich
Studienanlage
Für die «Leistungen mit gesamtgesellschaftlicher Bedeutung» erhalten die Landeskirchen jährlich insgesamt CHF 50 Mio. an Staatsbeiträgen; zur Evaluation dieses Beitrags wurden in der Vergangenheit bereits mehrere Studien erstellt. Im Herbst 2023 ist eine neue Studie erschienen (erstellt von der Universität Zürich im Auftrag der Regierung und der Landeskirchen), die die Angebote der Landeskirchen und deren Nutzung durch die kantonale Bevölkerung untersucht.
Die Studie konzentriert sich auf quantifizierbare Leistungen. Ein qualitativer Teil folgt im anschliessenden Kapitel.
Ergebnisse
Gemäss Studie erbringen die Kirchen ähnlich viele Leistungen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung wie bei der Vorgängerstudie von 2017; die Leistungen sind zudem gut legitimiert und in der Bevölkerung erwünscht. Dabei stossen kirchliche Angebote auch bei Personen auf Zuspruch, die sich nicht als christlich identifizieren.
Die Nutzung der kirchlichen Angebote hat stark abgenommen, v.a. bei der unter 45-jährigen Bevölkerung. Ebenso ist die Bekanntheit der Angebote geringer geworden.
Die Bedeutung der Landeskirchen als öffentlich sichtbarer Akteur hat im Vergleich zur Vorgängerstudie tendenziell abgenommen. Diese Entwicklung zeigt sich durch die sinkende Präsenz der kirchlichen Tätigkeiten, abnehmende Kenntnisse zu den kirchlichen Angeboten sowie durch den Rückgang der Bedeutungszuschreibung von Seiten der Gemeinden.
Kommentierungen
Aufgrund der Ergebnisse empfehlen die Studienautoren dem Kanton u.a., «im Hinblick auf die kommende Finanzierungsperiode den bisherigen finanziellen Rahmen zu diskutieren» sowie von den Landeskirchen erhöhte Transparenz in der Mittelverwendung einzufordern.
Von Seiten des Kantons sowie der Landeskirchen wird festgehalten, dass zum jetzigen Zeitpunkt eine Reduktion des Finanzrahmens nicht angebracht sei.
4. Studie «Beiträge der anerkannten Religionsgemeinschaften im Kanton Zürich zum Gemeinwohl» von Kanton und Landeskirchen des Kantons Zürich
Studienanlage
Während bei bisherigen Studien im Kanton Leistungen analysiert wurden, die quantifizierbarsind (bspw. Kosten für soziale Unterstützung oder Bildungsangebote), so konzentriert sich die vorlie-gende Studie neu auf mögliche weitere, nicht-monetäre Aspekte der religiösen Tätigkeit, die zum Gemeinwohl beitragen, etwa in den Bereichen des sozialen Zusammenhalts oder der Wertever-mittlung. Die Studie beansprucht damit, eine Forschungslücke zu schliessen, indem sie erstmals den Beitrag der Religionsgemeinschaften zur Solidarität, Stabilität und zum Sozialkapital einer of-fenen, demokratischen Gesellschaft analysiert.
Die Studie wurde von Forschenden aus den Bereichen Religionswissenschaft und Soziologie er-stellt im Auftrag der Direktion des Inneren und der Zürcher Landeskirchen.
Ergebnisse
Die Ergebnisse zeigen, dass die wahrgenommene Bedeutung religiöser Rituale bei wichtigen Lebensereignissen wie Geburt, Hochzeit und Bestattung in der säkularisierten Gesellschaft nach wie vor gross ist.
Ebenso ist die Wertschätzung von religiösen Bauten in der Öffentlichkeit hoch. Sie werden als wichtige kulturelle und soziale Bereicherung wahrgenommen.
Die Studie zeigt weiter auf, dass die Gemeinschaften auch soziales Kapital für Personen ausserhalb des Kreises ihrer Mitglieder zur Verfügung stellen. Diese Personen profitieren von den Hilfeleistungen, die mit den entsprechenden Netzwerken entstehen.
Die Untersuchungen bezüglich Wertebasis, Arbeitsethos und Religion zeigen, dass Mitglieder religiöser Vereine sowie Menschen, die sich selbst als religiös bezeichnen, eine höhere Gemeinschaftsorientierung zeigen als die Durchschnittsbevölkerung.
Kommentierungen
Für die Kirchen bedeutet die vorliegende Studie Anerkennung ihres Wirkens und Ansporn zugleich. Anerkennung, weil wissenschaftlich aufgezeigt wird, welche qualitative Bedeutung Religionsge-meinschaften für den gesellschaftlichen Zusammenhalt haben, abgesehen vom monetären Nutzen. Ansporn, weil sie als Kirchen das Wohl der Menschen und das gemeinsame Zusammenleben aller auch zukünftig – ungeachtet des zahlenmässigen Rückgangs der Mitglieder – ins Zentrum stellen wollen.
Thesen zur Diskussion
Die vorliegenden Studien zeugen davon, dass die Kirchen mehr und mehr rechenschaftspflichtig bezüglich der Verwendung öffentlicher Mittel werden. Ein Aspekt dieser Rechenschaftspflicht besteht zuweilen darin, dass die Kirchen ihre Tätigkeiten in refinanzierungsberechtigte und nicht-refinanzierungsberechtigte Leistungen zu unterteilen haben und die Verwendung der Mittel ausweisen müssen.
Angesichts der staatskirchenrechtlichen Entwicklungen ist davon auszugehen, dass zukünftig in noch weiteren Kantonen solche Rechenschafts- und Leistungsnachweispflichten bestehen werden.
Aus kirchlicher Warte ist auf die ambivalenten Auswirkungen der Leistungserhebungen aufmerksam zu machen. D.h. die Studien sind einerseits geeignet, die Leistungen der Kirchen besser sichtbar zu machen und damit die öffentlichen Gelder zugunsten der Kirchen besser zu plausibilisieren. Andererseits aber können sie zu einer verstärkten Abhängigkeit gegenüber den Steuerungsimpulsen des Staates führen, insbesondere dann, wenn die Leistungsnachweise mit weitergehenden Forderungen verbunden sind, die nicht zwingend mit den diakonischen Interessen der Kirchen deckungsgleich sind.
Die erwähnten Studien zeigen auf, dass die Trägerschaft, die inhaltliche und methodische Vorgehensweise sowie auch der Untersuchungsgegenstand je sehr unterschiedlich sind. Als Beispiel mag genügen: Während in Baselland (1.) eine rein quantitative Erhebung der kirchlichen Leistungen erfolgte, so wird diese in Zürich (3.) mit einer Perspektive der Nutzung durch die Bevölkerung ergänzt. Eine ergänzende qualitative Auswertung hingegen liegt in Zürich (4.) sowie in Bern (2.) vor.
D.h. die Ergebnisse sind nur in der aktuellen Fassung nur in beschränktem Ausmass miteinander vergleichbar. Zu fragen ist, ob es aus kirchlicher Warte einer proaktiven Vorgehensweise bedarf, um auf überkantonaler/regionaler/nationaler Ebene gemeinsame Parameter für kirchliche Leistungsmessungen abzusprechen, um so in einem grösseren Kontext auskunftsfähig über die kirchlichen Leistungen zugunsten der Gesamtgesellschaft zu werden.