4 von 5 Menschen mit Behinderungen fühlen sich ausgeschlossen

4 von 5 Menschen mit Behinderungen fühlen sich ausgeschlossen

Die erste Schweizer Inklusionsstudie zeigt, dass sich 80 Prozent der Menschen mit Behinderungen stark ausgeschlossen fühlen. Am stärksten empfunden werde die Diskriminierung in den Bereichen Politik, Arbeit und Mobilität.

4 von 5 Menschen mit Behinderungen in der Schweiz fühlen sich in mindestens einem Lebensbereich stark ausgeschlossen. Zu diesem alarmierenden Ergebnis kommt der Inklusions-Index 2023 – die erste grosse Studie zur Inklusion, bei der die Perspektive von Menschen mit Behinderungen im Zentrum steht, so Pro Infirmis. Die Studie wurde Mitte September 2023 vorgestellt.

Die Bereiche Politik mit 50 Prozent, Arbeit mit 49 Prozent und Mobilität mit 44 Prozent waren die am stärksten betroffenen Lebensbereiche. Hier fühlen sich die Befragten am stärksten eingeschränkt. Es folgen die Freizeit mit 42 Prozent, Bildung mit 37 Prozent, Wohnen mit 22 Prozent, Beziehungen mit 18 Prozent, Recht mit 11 Prozent, Gesundheit mit 10 Prozent und Information mit 9 Prozent.

Im Bereich Politik füheln sich die Menschen mit Behinderungen nicht ausreichend repräsentiert, so die Studie. Sie finden, dass Politikerinnen und Polititker zu wenig für Menschen mit Behinderungen tun und denken, dass sie kaum Chancen haben, in eine öffentlichen Amt gewählt zu werden.

Jeder zweite Mensch mit Behinderungen in der Schweiz findet laut Studie, dass er kaum eine Chance hat, in den ersten Arbeitsmarkt einzusteigen. Das finden vor allem diejenigen, die keine formale Ausbildung erworben haben, so Pro Infirmis. Demnach räumen sich Menschen mit einer Sprachbehinderung mit 76 Prozent und Menschen mit einer kognitiven Behinderung mit 69 Prozent am wenigsten Chancen ein.

Die Befragten geben an, dass zu wenig Arbeitgebende bereit seien, Menschen mit Behinderungen einzustellen, dass es kaum Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen gibt und dass Arbeitgebende glauben, man sei keine vollwertige Arbeitskraft.

Jede dritte Person mit Behinderungen fühlt sich gemäss Studie in ihrer Fortbewegung eingeschränkt, und zwar hauptsächlich wegen baulicher Barrieren. Die Einschränkungen in diesem Lebensbereich verschärfen sich durch eine erschwerte Nutzung des öffentlichen Verkehrs, so Pro Infirmus. Rund die Hälfte der Menschen mit einer Körperbehinderung empfindet das Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln als kompliziert.

Gründe für die Einschränkungen im öffentlichen Verkehr sind laut Studie nicht barrierefreie Haltestellen, ein zu hoher Aufwand für die Vorbereitung von Reisen mit dem öffentlichen Verkehr sowie die Tatsache, dass Mitreisende den Weg mit Gepäck versperren oder die vorgesehenen Sitzplätze nicht freigeben.

Es sei alarmierend zu erfahren, dass sich dabei zwei von drei Menschen mit Behinderungen in Bezug auf ihre Bildungs- und Ausbildungsmöglichhkeiten eingeschränkt fühlten, so der Fachverband Sozial- und Sonderpädagogik Integras in einer Stellungnahme. Besonders besorgniserregend sei die Tatsache, dass junge Menschen im Alter von 16 bis 24 Jahren am stärksten von dieser Einschränkung betroffen seien. Die Notwendigkeit, die Bildungssysteme für Menschen mit Behinderungen anzupassen, sei offensichtlich.

Der Inklusionsindex hebe hervor, dass Menschen mit Sprachbehinderungen den höchsten Grad an Einschränkungen im Bildungsbereich aufwiesen. Dies verdeutliche die Notwendigkeit von gezielten Massnahmen, um Menschen mit unterschiedlichen Arten von Behinderungen besser zu unterstützen.

Weiter werde der Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt von vielen Menschen mit Behinderungen als äusserst schwierig empfunden, insbesondere für diejenigen ohne formale Bildung oder mit separativem Bildungsweg. Dies unterstreiche die Notwendigkeit, Inklusionsmassnahmen in der Arbeitswelt zu verstärken und Hindernisse abzubauen.

Die Einschränkungen im Zugang zu kulturellen Veranstaltungen seien für Menschen mit Behinderungen ebenfalls ein wichtiger Punkt, so Integras weiter. Die finanzielle Barriere und bauliche Hindernisse müssten dringend angegangen werden, um die Teilnahme an kulturellen Aktivitäten für alle zu ermöglichen.

Gleichzeitig zeige die hohe Zufriedenheit bei der Kommunikation mit Behörden, dass Partizipation und Inklusion in diesem Bereich bereits hätte erreicht werden können. Dies sei ein ermutigendes Ergebnis, so Integras.

Insgesamt zeige die Studie jedoch, dass es weiterhin dringenden Handlungsbedarf gebe, um die Inklusion von Menschen mit Behinderungen in der Schweiz zu verbessern.