Eine Sozialraumanalyse ist eine detaillierte Untersuchung eines Gebiets, um die spezifischen Anforderungen, Wünsche und Herausforderungen der Bewohnerinnen und Bewohner in diesem Raum zu verstehen, so das TDS Aarau auf der Internetseite zum Angebot. Das angestrebte Ziel bestehe darin, eine solide Grundlage zu schaffen, von der aus Massnahmen und Projekte entwickelt werden können, die darauf abzielen, die Bedürfnisse der Menschen aufzunehmen und ihre Lebensqualität zu verbessern.
„Die Gesellschaft wandelt sich und mit ihr die Bedürfnisse der Menschen“, so Urs von Orelli gegenüber diakonie.ch. Der Dozent für sozialräumliches Handeln und gesellschaftlichen Wandel ist an der TDS Aarau für das Angebot der Sozialraumanalyse verantwortlich. „Wir sind der Meinung, dass nur eine Kirche, die sich den Sorgen und Nöten der Menschen im Sozialraum aussetzt, ihrem diakonischen Auftrag gerecht werden kann.“ Der Sozialraum sei nicht starr und beständig, sondern er werde durch die in ihm wirkenden Akteure gestaltet. Eine Kirche müsse sich deshalb die Frage stellen, ob und wie sie im Sozialraum sichtbar sein wolle, um gesellschaftsrelevant zu bleiben, so von Orelli: „Wir als TDS haben methodisches Fachwissen, um Kirchen vor Ort zu begleiten und zu befähigen, Antworten auf diese Frage zu finden.“
Raum für horizonterweiterten Austausch
Die bewusste Wahrnehmung und aktive Mitgestaltung des Sozialraums bereichere eine Kirchgemeinde auf vielfache Weise, so die Erläuterung weiter. Sie ermögliche das Knüpfen neuer Beziehungen mit verschiedensten Menschen und fördere die Vernetzung mit anderen Institutionen. Dies stärke die Bindung zur Umgebung und schaffe Raum für einen horizonterweiterten Austausch.
Dies trage dazu bei, die Sichtbarkeit der Kirche in der Gemeinschaft zu erhöhen und ihre Rolle als verlässliche Akteurin im Gemeinwesen zu unterstreichen. Insgesamt fördere diese Herangehensweise die soziale und spirituelle Bedeutung der Kirchgemeinde vor Ort, so das TDS Aarau.
Eine Sozialraumanalyse sei eine Haltung, die sich im Umsetzungsprozess entwickele. Sie erfordere die Bereitschaft zur Selbstreflexion und die Offenheit, verschiedene Standpunkte zu erkunden. Dabei solle die Kirchenleitung als Visionsträgerin agieren und die Mitglieder zur Beteiligung animieren. Auch seien motivierte Mitglieder entscheidend, die bereit seien, Zeit, Energie und Ressourcen zur Verfügung zu stellen.
Ein wichtiger Schritt sei das Bewusstsein über die eigene Herkunft und Grundhaltungen. So seien Vorurteile erkennbar und die Toleranz gegenüber verschiedenen Perspektiven werde gefördert. Schliesslich sei es wichtig, zeitliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen, es müsse also bestehendes Programm gekürzt werden. Es brauche Zeit, Daten zu sammeln und die daraus resultierenden Massnahmen abzuleiten.
So verläuft die Analyse
„Ich lebe Gemeinschaft und begeistere, damit Wachstum geschehen kann – diesen Satz habe ich mir als junger Mann zur Orientierung meines persönlichen Engagements gegeben“, so Urs von Orelli auf die Frage nach der persönlichen Motivation zu diesem Projekt. „Das Evangelium entweder in Wort oder Tat weiterzugeben, sehe ich als eine primäre Aufgabe meines Christseins. Im Sozialraum begegne ich verschiedensten Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen. Ich bin herausgefordert, in diesen Momenten meine Nächsten zu lieben, indem ich empathisch auf ihre Bedürfnisse eingehe und praktische Hilfe anbiete. Genau zu einem solchen Lebensstil werden Menschen aus Kirchgemeinden mit der Sozialraumanalyse befähigt.“
Die Analyse verläuft in vier Modulen. Die Basis soll eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Thema Kirche und Sozialraum ermöglichen. Haltungsfragen und Voraussetzungen für Kirchgemeinden werden thematisiert, dazu gesellschaftspolitische und theologische Gründe für Kirche im Sozialraum.
Im Kernmodul analysiert dann ein Projektteam der Kirchgemeinde unter fachkundiger Begleitung des TDS den Sozialraum. Für den Kick-Off-Workshop, die Gestaltung einer Grossgruppenmethode und die Erarbeitung der Handlungsfelder ist der Dozent vor Ort. In der Zwischenzeit erkundet das Projektteam selbständig mithilfe eines Methodenkoffers durch Gespräche und Begehungen den eigenen Kontext. Dabei geht es auch darum, Menschen, Gruppen und Institutionen im Sozialraum ausfindig zu machen.
Das Aufbaumodul beschäftigt sich dann mit der Frage, als Kirche im Sozialraum Wirkung zu erzielen. Hier geht es also vom erkannten Handlungsbedarf aufgrund der Sozialraumanalyse zum konkreten Projekt. Das Format dieses Moduls leitet sich vom gewünschten Projektumfang und dem individuellen Bedarf der Kirchgemeinde ab.
Erfahrungswerte und Effekt
„Seit 2020 führen wir im Rahmen der Ausbildung mit Studierenden der Diplomausbildung konkrete Sozialraumanalysen durch“, so Urs von Orelli. „Darüber hinaus konnten wir bereits im Rahmen von Weiterbildungen für Kirchgemeinden und für eine soziale Institution solche Untersuchungen durchführen. In allen Fällen wurden Handlungsansätze identifiziert und ein fachlich fundiertes weiteres Vorgehen vorgeschlagen.“
Man habe jedoch festgestellt, dass der Fokus nicht darauf liegt, externe Sozialraumanalysen anzubieten. „Vielmehr möchten wir gemeinsam mit Kirchgemeinden den Entdeckungsprozess gestalten. Während der Durchführung einer Sozialraumanalyse kommen wir mit verschiedenen Personen ins Gespräch und vernetzen uns auf diese Weise automatisch. Dies muss mit den Kirchenmitgliedern vor Ort passieren“, so der Projektverantwortliche.
Welchen Effekt erhofft sich das TDS Aarau für die sozialdiakonische Dimension der kirchgemeindlichen Arbeit? „Im Zentrum steht der konkrete Dienst am Nächsten zur Verbesserung der Lebenslage im Dorf, Quartier oder Stadtteil. Dadurch bekommt das Evangelium Hand und Fuss und wird konkret“, so Urs von Orelli dazu. Dies beinhalte direkte Unterstützung, um existenzielle Bedürfnisse zu adressieren und die Lebensqualität der Menschen vor Ort zu erhöhen.
„Die Zusammenarbeit und die Vernetzung im Sozialraum mit anderen Institutionen stärken zudem die sozialdiakonische Arbeit, indem Ressourcen gebündelt und Synergien genutzt werden“, so der Dozent weiter. „Insgesamt erhoffen wir uns, dass Kirche und damit das Evangelium durch diese Arbeit gesellschaftsrelevant ist und positiv wahrgenommen werden.“