Auf dem Weg zur demenzsensiblen Kirchgemeinde

Auf dem Weg zur demenzsensiblen Kirchgemeinde

Demenzbetroffene freuen sich, wenn sie wahrgenommen werden, so die Bernische Diakoniekonferenz zu demenzsensiblen Gemeinden. Statt sie als Problemzielgruppe zu sehen, sollten Gemeinden Beteiligungsangebote schaffen.

In demenzfreundlichen Gesellschaften steht weniger die Demenz im Vordergrund, vielmehr wird Vielfalt nicht als Bedrohung wahrgenommen, so Seelsorgerin Antje Koehler laut Mitteilung des Bernischen Diakonie Infoportals. Sie sprach anlässlich der Bernischen Diakoniekonferenz darüber, wie Kirchgemeinden Demenzsensibiliät herstellen können.

In der Demenz kämen Verwirrung, Stress und Scham zusammen, so Koehler. Mit Flucht auf solch eine Situation zu reagieren, sei keine spezifisch demente, sondern eine menschliche Reaktion. Gemeinden sollten den Blick nicht nur auf die demenzbetroffenen Menschen, sondern auch auf sich selbst schauen und fragen, was als Sozialraum noch fehle.

Dabei liege die erste Schwierigkeit schon darin, dass Menschen mit und ohne Demenz oft gar nicht zusammenkämen. In der Schweiz lebten 150000 Menschen mit diagnostizierter Demenz. Bis zu 70 Prozent der Menschen mit Demenz würden jedoch zuhause versorgt, auch würden Altersheime oft nicht als Ort der Kirchgemeinde betrachtet. Damit diese Menschen sichtbar würden, brauche es Austausch.

Statt höher, schneller, weiter, könnten demenzbetroffene Menschen lehren, bewusster und langsamer vorzugehen, so Koehler weiter. In demenzsensiblen Gemeinden zeige sich, dass Kulturen wachsen müssten. Es sei kein Thema, für das sich alle begeisterten, weshalb man den moralischen Kampfmodus abschalten müsse.

Viele von Demenz betroffene Menschen zögen sich zurück, so Koehler. Ausgrenzungsfaktoren wie ein fehlender Fahrstuhl oder eine nicht behindertengerechte Toilette täten ihr übriges. Demenzbetroffene und ihre Angehörigen freuten sich, wenn sie wahrgenommen würden, soch müsse man davon abkommen, sie als Problemzielgruppe zu sehen. Beteiligungs- statt Hilfsangebote sollten geschaffen werden.

Grundsätzlich gehe es um quartiersbezogene Öffnungen und Neuausrichtungen, um Veranstaltungen, in denen Menschen mit Demenz nicht nur ihren Platz zugewiesen bekommen, sondern als lebendiger Teil unter Vielen bewusst wahrgenommen werden und stets willkommen sind, heisst es zum Thema in einer Informationsbroschüre.

Dieses bedingungslose Willkommensein sei das eigentliche Anliegen demenzsensibler Kirchgemeinden, weil Betroffene zu oft erlebt hätten, dass die Anwesenheit und die Teilnahme von Menschen mit einer Demenz von Seiten der handelnden Gemeindeakteure und Glieder als besondere Last, besondere Herausforderung, besondere Erschwernis der Arbeit, besonderer Stress, also im Schwerpunkt negativ empfunden würden.

Natürliche Rückzugstendenzen auf Seiten von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen aus Scham und Angst auf der einen Seite und bewusste und unbewusste Ausgrenzungsmechanismen auf Seiten des Sozialraums auf der anderen Seite seien ein ungünstige Kombination, so Koehler.

Für die meisten von Demenz betroffenen Menschen sei die stärkste Folge und das ausgeprägteste Symptom ihrer Erkrankung das Gefühl der Angst. Auch bestehe auf der anderen Seite in der Begegnung mit Menschen mit einer Demenz die Angst. Gleichzeitig sei klar, dass sich Angst am stärksten durch soziale Bindung, Begegnung und Kommunikation reduziere. Wo sich achtsame Begegnung und Bindung realisiere, könne eine kirchliche Gemeinschaft erfahrbar werden, die nicht erst kognitiv erklärt werden müsse, sondern intuitiv erschlossen werde.

In Form einer Bestandsaufnahme könne sich eine Gemeinde die Fragen stellen, wo Menschen mit Demenz in der Gemeinde begegnen, wo sie zunehmend vermisst werden, ob wirklich jede und jeder willkommen ist und wie dies deutlich gemacht wird. Helfen könne dabei schon ein Schild im Schaukasten, das darauf hinweist, dass Menschen mit Demenz und deren Angehörige bei allen Veranstaltungen willkommen seien.

Es brauche zudem Abstand vom Kümmerer-Gedanken, so Koehler. Auf die Menschen aufmerksam zu machen heisse nicht, sie zur neuen Problemzielgruppe zu erklären. So könnten Menschen mit Demenz in Vorbereitungsteams eingeladen werden, um mit ihnen statt über sie zu sprechen. Ebenso könnten Menschen mit Demenz als Ehrenamtliche gewonnen werden.

Beteiligung statt Hilfsangebote zu initiieren, lautete ein weiterer Tipp von Antje Koehler. Es ginge weniger darum, etwas Zusätzliches zu tun, als darum, das Bestehende anders zu machen. So lohnten sich Sonntagsgottesdienste für alle zur ganz normalen Gottesdienstzeit. Im gemeinsamen Singen, Beten oder Basteln realisierten sich Teilhabeprozesse, ohne bewusst etwas inklusives zu tun. Auch müssten sich nicht ale Angebote an den Bedürfnissen von Menschen mit Demenz orientieren.

Auch Theres Meierhofer-Lauffer, Leiterin des Alters- und Pflegeheims Erlenhaus in der demenzfreundlichen Gemeinde Engelberg in Obwalden und Co-Präsidentin der Fachgruppe Palliative Care der Evangelischen Kirche Schweiz, betont im Gespräch mit dem Mitarbeiterheft Ensemble der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn den Beitrag der Kirchen an eine Kultur der Gastfreundschaft für Menschen mit Demenz.

Menschen mit einer Demenz und ihre Angehörigen bräuchten sowohl eine einladende als auch eine aufsuchende Kirche, so Meierhofer-Lauffer. Entscheidend in einer Kirchgemeinde sei die Haltung der Gemeinschaft, dass Menschen mit einer Demenz willkommen seien, selbst dann wenn sie sich während eines Gottesdienstes oder einer Veranstaltung nicht ganz konform verhielten.

Alle kirchlichen Mitarbeitenden müssten hier Vorbild und entsprechend geschult sein. Viele Betroffene zögen sich zurück oder bräuchten den Schutz einer Pflegeinstitution, so Meierhofer-Lauffer. Mit aktiver, aufsuchender Seelsorge könne die Beziehung zur Kirche aufrechterhalten und die spirituelle Sehnsucht gestillt werden. Leider habe die Seelsorge in den Pflegeheimen oft nicht die Priorität, die Menschen mit einer Demenz verdienten.

Werde Inklusion als Leitmotiv gesetzt, reiche es nicht aus, dass der Diakonieausschuss der Gemeinde das Thema einmal auf seine Tagesordnung nehme, so Koehler weiter. Helfen könne ein Projektmonat für sämtliche Gemeindegruppen oder auch einmal ein Familiengottesdienst im Altenheim.

Insgesamt gehe es daurm, in Prozessen statt in Ergebnissen zu denken, so Koehler. Es gehe darum, eine Kultur des Scheiterns auszuhalten und einzuüben. Es gehe um Wachstum der Gemeinde, nicht um Perfektion. Menschen mit Demenz gehörten zu Gemeinde. Nicht wegen, nicht trotz, sondern mit ihrer Demenz.