Benachteiligt die Digitalisierung armutserfahrene Personen?

Benachteiligt die Digitalisierung armutserfahrene Personen?

Eine aktuelle Studie zeigt, wie die Digitalisierung armutserfahrene Personen herausfordert und die Kluft ihrer Benachteiligung verschärft, so die Berner Fachhochschule Soziale Arbeit.

Personen mit knappem und nicht gesichertem Einkommen haben häufig weder intakte digitale Geräte noch Möglichkeiten, diese regelmässig anzuwenden oder sich für die Anwendung weiterzubilden, so die Berner Fachhochschule in einem Blogbeitrag. Diese Personengruppe bevorzuge unter anderem deshalb den persönlichen Kontakt. Ein Zugticket zu lösen, könne für sie bereits eine Herausforderung sein. Ein Scheitern digitaler Gehversuche könne dabei als persönliche Niederlage wahrgenommen werden. Das könne eine schon benachteiligte Person noch zusätzlich beeinträchtigen.

Armutsbetroffene und Menschen mit psychischen Erkrankungen verbinde, dass ihr Zugang zu Unterstützungsangeboten erschwert sei, so die Studie. Gleichzeitig sei die Hoffnung gross, ihre Situation mit digitalen Angeboten verbessern zu können. In den Sozialdiensten hielten digitale Unterstützungsangebote langsam, aber noch nicht flächendeckend Einzug. Auf dem freien Markt und von gemeinnützigen Organisationen würden, insbesondere in den USA, zahlreiche Apps für Personen mit psychischen Erkrankungen zur Verfügung gestellt. Diese seien je nach gesundheitlichem Zustand begrenzt hilfreich, heisst es weiter.

Vor desem Hintergrund setzt das interdisziplinäre Forschungsprojekt an, um die Literatur zum Thema aufzuarbeiten und um zu untersuchen, wie betroffene Personen diese Thematik selbst wahrnehmen und welche Unterstützungsmöglichkeiten ins Visier zu nehmen seien.

So zeigten sich im Alltag der betroffenen Personen zwei positive Aspekte der Digitalisierung. Zum einen könnten digitale Medien ortsunabhängig genutzt werden. Das sei mit einem knappen Budget für Mobilität oder gewissen körperlichen Einschränkungen von Vorteil. Zum anderen belegten Evaluationen im angloamerikanischen Kontext eine motivierende Wirkung, wenn betroffene Personen eine der zahlreichen Apps zur psychischen Gesundheit nutzten. Allerdings seien diese Befunde mit Vorischt zu geniessen, weil diese Untersuchungen oft von Firmen geleitet würden, die an den Apps beteiligt seien.

Die grundsätzliche Herausforderung sei, funktionierende Geräte mit Netzzugang zur Verfügung zu haben. Wenn den Personen das Gerät gehöre, müssten sie es zudem Instand halten. Gerade armutserfahrene Personen verfügten oftmals nicht über ausreichende finanzielle Mittel, um die Wartung der Geräte sicherzustellen, so die Fachhochschule.

Viele Herausforderungen scheinen Ungleichheiteun und Ausschlussmechanismen zu befördern, so die Erkenntnisse einer dazu durchgeführten Studie. Verstärkt werde dies, da Online-Affine aufgrund ihres schichtspezifischen Wissensvorsprungs stärker von technischen Neuerungen profitierten. Auch verstärkten digitale Angebote die soziale Isolation.

Die Fragen der Motivation, der Vorerfahrungen sowie des Mehrwerts einer weiteren Nutzung standen ebenfalls im Fokus der Studie, so die Fachhochschule. Dabei komme Fachpersonen aus dem Sozialwesen eine zentrale Rolle zu. Sie könnten den Zugang zu digitalen Medien ermöglichen, Hemmschwellen abbauen und die selbstbestimmte Nutzung digitaler Medien fördern.

Auch seien Basis- und Selbstkompetenzen zur Bedienung der Geräte eine weitere wichtige Voraussetzung, um digitale Medien umfassend nutzen zu können. Die Frage sei, ob die betroffenen Personen motiviert seien, digitale Geräte im Alltag einzusetzen und ob sie darin einen Mehrwert sähen. Eine mögliche Motivation hinge insbesondere von ihrem Vorwissen und den Weiterbildungsmöglichkeiten ab. Auch sei ein wichtiger Aspekt, ob die Personen bei der Handhabung unterstützt würden, etwa durch Familienangehörige, andere nahestehende Personen oder Fachpersonen. Bestehe kein entsprechendes Umfeld, ergänzten sich die Herausforderungen und Ausschlussprozesse.

Im Sinne einer Minimallösung sollten Fachpersonen des Sozialwesens betroffene Menschen darüber informieren können, wo die entsprechende Unterstützungsangebote finden. Auch könne die Unterstützung durch Peers besonders nützlich sein. Diese Hilfe wäre bei der Zielgruppe besonders akzeptiert und sehr niederschwellig.

Mit einer systematischen Literaturrecherche identizierten die Forscherinnen und Forscher die relevanten Barrieren und Chancen bei der Nutzung digitaler Angebote und der Recherche nach Informationen im Netz. Der Fokus lag laut Beitrag in der Sozialen Arbeit auf Armutsbetroffenen und in der Gesundheit auf erkrankten Personen, die ambulante psychische Pflege benötigen. Durch einen partizipativen Workshop mit Fachpersonen, Personen mit schweren psychischen Beeinträchtigungen und armutserfahrenen Menschen wurden die Ergebnisse der Literaturrecherche validiert und ergänzt. Das genutzte Vorgehen eigne sich, die Stimme der Betroggenen festzuhalten und mit ihnen Lösungen zu entwerfen, so der Fachbeitrag.