Care-Migrantinnen: Alle wollen Rechtsschutz, doch nichts passiert
10’000 Care-Migranten versorgen wochenweise pflegebedürftige Menschen in Privathaushalten. Das Arbeitsgesetz schützt sie nicht, viele leisten Schwarzarbeit. Sie sind sozial isoliert. Obwohl das Thema seit Jahren auf der politischen Agenda ist, passiert nicht viel. Eine Bestandsaufnahme.
Care-Migranten: Oft gut ausgebildete Frauen und Männer aus dem europäischen Ausland kommen für maximal drei Monate, meist jedoch für zwei bis vier Wochen, in die Schweiz und betreuen dort betagte und pflegebedürftige Menschen in Privathaushalten. Danach gehen sie für die gleiche Dauer nach Hause, um dann wieder an den gleichen Arbeitsplatz in der Schweiz zurückzukehren.
Pendelemigration nennt der Bund dies. Die Pflegenden wohnen bei ihren Klienten, sind rund um die Uhr abrufbar, führen den Haushalt, pflegen. Rund 10’000 gibt es in der Schweiz, für rund 5’000 Betagte.
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Wie kommt es dazu? Die Erwerbsquote bei Frauen und Männern steigt, der Sozialstaat verändert sich, gleichzeitig wächst der Bedarf an ambulanter Pflege: Versorgungsengpässe sind die Folge. Diese Lücke füllen die Pendlerinnen und Pendler aus zumeist osteuropäischen EU-Staaten.
Was nett klingt, hat einen Haken im Detail: Das Arbeitsgesetz findet auf private Haushalte keine Anwendung – der rechtliche Schutz für Arbeitnehmende gilt in diesem Fall nicht. Die Arbeits- und Ruhezeiten sind also relativ. Und auch wenn der Lohn höher ist als in den Heimatländern, ist er auf die effektive Arbeitszeit umgerechnet niedrig – zwischen 5 und 8 Franken pro Stunde, wie der Tagesanzeiger schreibt.
Nötig wäre also, die Rechte der Care-Migrantinnen und -Migranten zu stärken. Dazu braucht es freilich die Politik. Und die ist gespalten. Auf der einen Seite stehen Menschen wie die CVP-Nationalrätin Barbara Schmid-Federer, die bereits vor fünf Jahren in einem Postulat forderte, der Bundesrat möge prüfen, inwiefern der rechtliche Rahmen verbessert werden könnte. Die geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen seien diffus, in der 24-Stunden-Betreuung herrschten teils prekäre Arbeitsverhältnisse. So müsste gemäss Bundesgericht der Bereitschaftsdienst zwingend entlöhnt werden, die vermittelnden Agenturen liessen jedoch nur einen kleinen Teil als Arbeitszeit gelten.
Der Bundesrat hatte vor zwei Jahren einen Bericht zum Thema Pendelmigration gutgeheissen und das Wirtschaftsdepartement beauftragt, die Folgekosten einer Regulierung zu beziffern. Der Bericht schlug seinerzeit drei Modelle vor: Eine Verpflichtung der Arbeitgeber, die Arbeitnehmer über das geltende Recht zu informieren, ein Normalarbeitsvertrag oder die Schaffung einer neuen Verordnung für die Arbeitsverhältnisse. Zunächst seien jedoch die Zuständigkeiten zu klären. Weiter würden die Lösungen “die Kosten für die Betroffenen sowie möglicherweise für das Sozial- und Gesundheitswesen erhöhen”.
Ende Juni diesen Jahres hat der Bundesrat nun beschlossen, die 24-Stunden-Betreuungsarbeit zu regeln. Die Regelung soll jedoch nur minimale Vorgaben für die Anrechnung der Präsenzzeit machen. Zugleich liegt dem Bundesrat der Bericht “24-Stunden-Betagtenbetreuung in Privathaushalten” vor, der auf die Mehrkosten der Regulierung eingeht. Je nach Regelung entstünden jährliche Mehrkosten zwischen 70 Millionen und einer halben Milliarde Franken. Eine weitergehende Regelung der Arbeitsbedingungen sei in den betroffenen Kreisen gewünscht, die Meinungen über einen Lösungsweg gingen jedoch auseinander, bilanziert der Bund.
Das Vorgehen des Bundesrates wird kritisiert. “Aus meiner Sicht hat der Bundesrat diese Sache verschleppt, weil er nicht handeln will und weil er das Problem als unwichtig erachtet”, so Barbara Schmid-Federer gegenüber diakonie.ch, die einen weiteren Vorstoss in der Sache ankündigte, um den Druck auf den Bundesrat zu erhöhen. Laut Tagesanzeiger äussern sich auf Bea Heim, Solothurner SP-Nationalrätin und Co-Präsidentin der parlamentarischen Gruppe Pflege, und die Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich unzufrieden.
So bleibt zu fragen: Was wird getan? Initiativen gibt es einige: “CareInfo” ist eine Informationsplattform der Stadt Zürich, die sich sowohl an Care-Migrantinnen als auch an ihre Auftraggeber richtet. Hier können sich die Pflegenden in einer Facebook-Gruppe austauschen, es gibt Informationen und eine Kontaktmöglichkeit. Auch die Reformierte Kirche Zürich hat vor einigen Jahren das Testprojekt “Carina” lanciert, mit welchem die Isolation der Care-Migrantinnen durchbrochen werden sollte. Und erst vor wenigen Wochen fand eine nationale Konferenz zum Thema statt, organisiert durch die Uni Zürich und den Thinktank Denknetz. Auch hier wurde darauf hingewiesen, dass es neben dem rechtlichen Ausbau vor allem darauf ankommt, die soziale Isolation zu durchbrechen und die Care-Migrantinnen und -Migranten zu vernetzen und zu organisieren.
Mehr Rechtsschutz und ein Ende der Isolation – diese Forderungen scheinen common sense. Verwunderlich, dass nach so viel Zeit so wenig erreicht ist.