«Ein starkes Beispiel für eine mutige Diakonie»

«Ein starkes Beispiel für eine mutige Diakonie»

Einheimische treffen sich mit Asylsuchenden. Sie bringen ihnen die Schweizer Gesellschaft nahe und helfen, wo der Alltag Hürden in den Weg legt. Migrationstandems nennt sich das. Kürzlich hat die Kirche dabei den Zuschlag für eine kantonale Ausschreibung erhalten.

Migrationstandems – sie bestehen aus einer oder einem Einheimischen und einer oder einem Asylsuchenden. So wie die Schweizerin Melanie und Nazret aus Eritrea. Sie tauschen sich aus, was sie gerade in ihrem Leben beschäftigt, treffen sich ungezwungen und verbringen Zeit miteinander.

Neben der Sprachkompetenz gehe es auch darum, kulturelle Barrieren von beiden Seiten zu überwinden, so Melanie im Projektfilm von fondia und der Diakonie Schweiz. Beide Seiten könnten viel voneinander lernen. Und natürlich solle der Zugang zu den Gepflogenheiten der Schweiz erleichtert werden. Das Beherrschen der Sprache ist und bleibe jedoch entscheidend. Und nicht zuletzt, so Melanie, motiviere das Tandem auch die Asylsuchenden, gerade wenn sie lange auf einen Bescheid warteten.

Im Rahmen der Integrationsagenda des Kantons Zürich wurde Ende 2020 ein solches Tandemprogramm ausgeschrieben, zu dem geflüchtete Personen aus dem ganzen Kanton Zürich Zugang haben sollen. Freiwillige unterstützen dabei geflüchtete Menschen, sich in der Schweizer Gesellschaft zu orientieren. Eine Pilotphase dauert bis Ende 2023.

Laut kantonalem Integrationsprogramm sollen so Angebote unterstützt werden, die das Zusammenleben der Bevölkerung durch Begegnung und Austausch fördern. Ausserdem sollen die Teilhabe der Migrationsbevölkerung am gesellschaftlichen Leben sowie deren Mitsprache-, Mitwirkungs- und Mitentscheidungsmöglichkeiten gefördert werden.

Die Innendirektion des Kantons Zürich hat dafür Mandate ausgeschrieben, es wurden also kantonsweit Ehrenamtliche gesucht, die Migrantinnen und Migranten in der Integration persönlich unterstützen. Die Kirchen haben sich in ökumenischer Trägerschaft um die Durchführung beworben und in der Region Oberland den Zuschlag erhalten.

Es geht vor allem um soziale Integration, so Kirchenrat Bernhard Egg vor der Zürcher Sommersynode. Vorläufig Aufgenommene und Menschen mit Flüchtlingsstatus seien angesprochen. Die Kirche sei aufgerufen, etwas zu tun, ergänzte Egg. Nahe bei den Menschen zu sein sei eine zentrale Aufgabe der Kirche.

“Der Schlüssel ist die Bereitschaft, sich aufeinander einzulassen“, so die Zürcher Regierungsrätin Jaqueline Fehr in ihrem Blog. Es brauche diese Bereitschaft auf beiden Seiten, auf der ankommenden wie auf der aufnehmenden. Dass diese Bereitschaft in der Schweiz lebendig sei, zeige sich im Umstand, dass sie sich ganz unspektakulär im Alltag manifestiere.

Das Engagement der Landeskirchen für geflüchtete Menschen habe eine lange Tradition und sei wichtig, so Fehr: «ohne dieses Engagement wäre vieles nicht möglich». Darüber sei der Staat sehr froh und dankbar. Auch die Partnerschaft mit dem Verband Schweizerischer Jüdischer Fürsorgen, der für eine andere Region den Zuschlag erhielt, zeige, dass der interreligiöse Austausch und die interreligiöse Unterstützung ganz selbstverständlich im Alltag gelebt würden.

«Als Fachmitarbeiterinnen Migration sind wir eng mit anderen Playern im Integrationsbereich vernetzt», so Ivana Mehr, Projektleiterin der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich. Dadurch seien die Kirchen schon früh vom Kanton in den Prozess der Projektausschreibung eingebunden worden. Gleichzeitig sei es das erste Mal, dass sich die Landeskirche in Kooperation mit Caritas für ein kantonales Projekt beworben habe.

Vor der Bewerbung habe man die Kirchgemeinden zu einem Soundingboard eingeladen. «Wir wollten wissen, ob die Kirchgemeinden überhaupt interessiert waren, am Projekt mitzumachen», so Fehr. Der Tenor sei positiv gewesen: «Das gab den Ausschlag, uns zu bewerben».

Die Kirche sei eben überall vor Ort, auch in dezentralen Regionen. Das sei eine grosse Stärke, so Mehr: «Wir sind quasi überall als Anlaufstelle verfügbar.» Kirchgemeinden und Pfarreien hätten Erfahrung in der Gewinnung, Begleitung und Qualifizierung von Freiwilligen, es müssten also nicht erst von Grund auf lokale Strukturen aufgebaut werden.

Auch in Burgdorf gibt es ein erfolgreiches Projekt. PaMi – Patenschaften für Migrant*innen heisst das Angebot der Reformierten Kirche Burgdorf zur Förderung des Zusammenhalts in der Stadt Burgdorf. Die interkulturelle Verständigung und Integration stehen im Vordergrund. Vermittelt werden freiwillige Patinnen und Paten, die während einiger Monate neuzuziehende Migrantinnen und Migranten begleiten, ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen und sie befähigen, ihren Alltag selbständig zu meistern.

Durch die regelmässigen Treffen erhalten die Migrantinnen und Migranten Hilfe in herausfordernden Alltagssituationen, lernen Schweizer Kultur und Verhaltensweisen kennen und wenden gleichzeitig die deutsche Sprache an, heisst es im Konzept zum Projekt.

«Aktuell laufen ungefähr zwanzig aktive Patenschaften», so Projektleiterin Annette Vogt von der Reformierten Kirche Burgdorf. Allerdings habe die Corona-Pandemie das Finden von Freiwilligen enorm erschwert. Zeitweise sei auch die Alltagsbegleitung nicht mehr möglich gewesen: «Viele Patenschaften sind auf digitale Wege ausgewichen, andere haben das Engagement unterbrochen».

Auf Seiten der Begleiteten gebe es praktisch immer eine Warteliste, so Vogt. «Aktuell beginnen sich wieder Freiwillige zu melden.» Das wäre auch wichtig, würden doch Kinder neu eingeschult und begännen junge Menschen ihre Lehre. «Da gibt es ein grosses Bedürfnis für eine Begleitung und Unterstützung im Alltag.»

Behörden und Organisationen melden sich bei der Projektstelle, wenn sie Menschen kennen, die an einer Patenschaft interessiert sind. Interessierte Migrantinnen und Migranten können sich auch selber anmelden. In einem persönlichen Gespräch mit den Interessenten klärt das Team dann den genauen Bedarf an einer Patenschaft ab. Anschliessend werden geeignete Personen aus dem Freiwilligenpool gesucht.

Eine Patenschaft dauert in der Regel mindestens sechs Monate – mit einer einmonatigen Probezeit, nach der geschaut wird, ob das Tandemprojekt für beide Seiten stimmt. Die Freiwilligen treffen die Begleiteten mindestens einmal pro Woche bei ihnen zuhause oder an einem geeigneten Ort. Dabei arbeiten sie an von ihnen gemeinsam festgelegten Zielen.

«Es lohnt sich, ausführliche Erstgespräche zu führen», gibt Vogt zu bedenken. «Ich schildere den Freiwilligen, welche Hürden vorkommen könnten. Ich lasse sie an Erfolgsgeschichten teilhaben und erzähle, was sich bewährt hat.» Genauso wichtig sei das Gespräch mit den Begleiteten. «Ich mache ihnen klar, dass es Freiwillige sind, die ihre Zeit schenken, und dass dies nicht selbstverständlich sei.» Auch habe sich eine schriftliche Vereinbarung bewährt. So sei allen klar, woran gearbeitet wird und woran nicht.

«Während üblicherweise die staatlichen Mittel für die Kirchen rückläufig sind, gelingt es der Zürcher Kirche im vorliegenden Fall, zusätzliche Mittel zur bestehenden Kirchenfinanzierung zu generieren», so Simon Hofstetter, Stabsleiter der Diakonie Schweiz. «Der Zuschlag ist ein starkes Beispiel für eine mutige und selbstbewusste Diakonie: Sie erhebt die Anspruch auf einen sichtbaren Platz in der Reihe der sozialen Institutionen und zeigt ihre Konkurrenzfähigkeit!»