Schweizerinnen und Schweizer wünschen sich mehr Zeit für ihre Freundschaften

Schweizerinnen und Schweizer wünschen sich mehr Zeit für ihre Freundschaften

Freundschaften haben einen grossen gesellschaftlichen Wert und sind nicht nur auf persönlicher Ebene bereichernd, so eine aktuelle Studie des Gottlieb Duttweiler Instituts. Mehr Lebenszufriedenheit und eine positive Wirkung auf die Gesundheit sind Erfolge von Freundschaften.

Qualitativ hochwertige Beziehungen führen nicht nur zu mehr Lebenszufriedenheit, sondern wirken sich auch positiv auf die Gesundheit aus. Bereits vor der Pandemie stieg das Gefühl der Einsamkeit in der Schweizer Bevölkerung. So die Medieninformation des Gottlieb Duttweiler Instituts zu einer aktuell durchgeführten Studie. Im Auftrag des Migros-Kulturprozent untersuchte «In guter Gesellschaft – die erste schweizweite Freundschaftsstudie», wie Freundschaften in der Schweiz aussehen und wie sich die Bevölkerung damit fühlt und darüber denkt.

In der Schweiz hat man im Durchschnitt 4 enge Freundinnen oder Freunde, 8 weitere Freunde und einen Bekanntenkreis von 34 Personen, so die Studie zur Schweizer Norm von Freundschaft. Ausschlaggebend für das Bilden von Freundschaften ist demnach der Humor. In der Schweiz will man gemeinsam lachen können. Zusätzlich sind Gemeinsamkeiten wie Hobbys, die politische Meinung oder das Bildungsniveau entscheidend, während Äusserlichkeiten wie der Kleidungsstil keine Rolle spielen.

Rund ein Drittel der Befragten sieht die eigenen Freundinnen und Freunde wöchentlich oder sogar täglich. Ein weiteres Drittel trifft sich mehrmals im Monat. Dennoch finden 50 Prozent der Befragten, dass sie zu wenig Zeit mit ihren Freundinnen und Freunden verbringen. Wenn sich Freunde in der Schweiz verabreden, dann verbringen sie die gemeinsame Zeit am häufigsten mit Ausgehen, Feiern oder Essen. Dabei entstehen sowohl tiefsinnige wie auch weniger tiefsinnige Gespräche.

Persönliche Begegnungen sind in der Schweiz ein deutliches Qualitätsmerkmal für Freundschaften und stärken die eigene Zufriedenheit. Digitale Tools können zwar beim Kennenlernen helfen, für den Freundschaftsverlauf und das eigene Wohlergehen hingegen ist die virtuelle Welt grossmehrheitlich nicht das Richtige, ist eine weitere Erkenntnis der Studie.

Laut Studie gibt es deutliche regionale Unterschiede. Demnach ist der Mittelwert an engen Freundinnen und Freunden in der Westschweiz mit durchschnittlich etwas über 4 Personen am höchsten und in der italienischen Schweiz mit wenig über 3 engen Freundinnen oder Freunden am tiefsten. Während in der Deutsch- und Westschweiz nur etwa 30 Prozent ihre Freundinnen und Freunde mindestens einmal wöchentlich sehen, liegt dieser Wert im Tessin mit 44 Prozent deutlich höher. Im internationalen Vergleich ist die Anzahl enger Freundschaften in der Schweiz mit Studienergebnissen aus Deutschland und den USA vergleichbar.

Wo Freunde kennengelernt werden

Schule, Ausbildung und Arbeit stellen eine wichtige Sozialisationsinstanz dar. Fast die Hälfte der Befragten hat ihre besten Freundinnen und Freunde dort kennengelernt. Das verwundere wenig, schliesslich böten Schule und Arbeit das perfekte Setting für ungeplante Interaktionen und das, quasi eine Schicksalsgemeinschaft, in der Freud und Leid geteilt würden.

Die Schule sei ein Ort, an dem Freundschaften einfach passierten, wo man keine grosse Initiative ergreifen müsse, um mit Leuten in Kontakt zu treten. Weiter lerne ein Viertel der Menschen ihre besten Freundinnen  und Freunde über gemeinsame Bekannte oder die Familie kennen, zehn Prozent durch Sport oder Hobbys.

Bei jüngeren Menschen scheinen Schule, Arbeit, Familie und Freundinnen und Freunde beim Kennenlernen von Menschen eine wichtige Rolle zu spielen. Mit zunehmendem Alter werden dann zufällige Treffen, Hobbys oder Ferien und Feiern als Gelegenheiten für Begegnungen wichtiger. Je älter man ist, desto proaktiver muss man auf Menschen zugehen, um neue Freundinnen und Freunde zu finden – weil man nicht einfach zwangsläufig immer die gleichen Menschen in institutionalisierten Begegnungsorten sieht wie in der Schule oder bei der Arbeit, so die Studie weiter.

Die jüngere Generation ist einsamer

In der Schweiz haben ältere Menschen laut Studie weniger Freunde und sehen sich seltener. Dennoch sind sie mit ihren Freundschaften zufriedener als Jüngere und fühlen sich im Generationenvergleich weniger einsam.

Einsamkeit ist bei Jüngeren laut Studie ein grösseres Thema, obgleich sie mehr Freunde haben. Übereinstimmung zwischen den Altersgruppen besteht darin, dass Freundinnen und Freunde eine wichtige Ergänzung oder gar einen Ersatz für die Familie bilden. Der Austausch wird von den Teilnehmenden als neutral, ehrlich und unvoreingenommen geschätzt. Auch in der quantitativen Befragung zeigt sich, dass etwa 80 Prozent mit Freunden über Gefühle und Probleme sprechen.

Wenn es um die Definition von Freundschaft geht, ist den Schweizerinnen und Schweizern die Balance zwischen Geben und Nehmen wichtig, so die Medieninformation weiter. Dies spiegele sich im gesellschaftlichen Leben wider. Wer viele Freundinnen und Freunde habe, engagiere sich mehr, so die Studie. Demnach werde erstmals ausführlich aufgezeigt, dass ein Zusammenhang besteht zwischen Freundschaften und dem persönlichen Verhalten und Engagement in der Schweiz.

Die Hälfte der Befragten übt ihr Hobby oder ihre Vereinstätigkeit zumindest teilweise aufgrund von Freunden aus. Andere treten einem Verein bei und engagieren sich dank Freundschaften sozial. Wer viele Freundinnen und Freunde hat, übernimmt demnach häufiger eine soziale oder gesellschaftliche Aufgabe, so die Studie.

Ein weiterer Grund, warum Freundschaften wichtig sind, könnte sein, dass sie zivilisierend wirken und Extremismus vorbeugen, so die Studie weiter. Laut einer schwedischen Studie zeigten demnach Menschen, die in ihrem Alltag Ablehnung und Ausgrenzung erfahren, eine höhere Bereitschaft, sich radikalen Gruppierungen anzuschliessen. Somit komme der Schaffung sozialer Beziehungsnetze auch eine politische Bedeutung zu.

In dieser Studie wurde nicht die Bereitschaft gemessen, sich einer extremistischen Bewegung anzuschliessen, sondern die Zustimmung dazu, dass manchmal Gewalt gerechtfertigt ist, um gegen Ungerechtigkeiten zu kämpfen oder die eigenen Überzeugungen zu verteidigen.

Es scheint tatsächlich so zu sein, so die Studie weiter, dass Menschen, die mit Qualität und Quantität ihrer Freundschaften weniger zufrieden sind, auch eher Gewalt rechtfertigen. Noch deutlicher sei jedoch der Zusammenhang mit Einsamkeit. Wer sich einsam fühle, legitimiere Gewalt doppelt so häufig wie diejenigen, die sich nicht einsam fühlen.

“Kontakte ermöglichen – Raum für Begegnung schaffen”

Mit zunehmendem Alter wird auch die Nachbarschaft als Ort für das Kennenlernen von Freundinnen und Freunden wichtiger, schliesst die Studie. Die Gelegenheiten, seine Nachbarinnen und Nachbarn kennenzulernen, hängen demnach von Infrastruktur und Architektur ab.

Fahre man von der Wohnung mit dem Lift direkt in die Tiefgarage, treffe man weniger Nachbarinnen und Nachbarn, als wenn man einen gemeinsamen Innenhof durchlaufe, so die Studie. Es mache schon einen Unterschied, ob man vor der Haustüre verweilen und vielleicht sogar die Kinder spielen lassen könne, oder ob dies der Verkehr nicht erlaube.

So zeige eine britische Studie, dass Menschen, die an stark befahrenen Strassen wohnten, seltener mit ihren Nachbarinnen und Nachbarn befreundet seien, als Anwohnerinnen und Anwohner ruhigerer Strassen. Urbane Gärten förderten die soziale Kohäsion einer Nachbarschaft und könnten damit auch Freundschaften ermöglichen. Parks, Treffpunkte oder Quartierflohmärkte hätten vermutlich ähnliche Wirkungen.

Für die Studie wurden zunächst vier Fokusgruppen unterschiedlichen Alters in Interviews befragt und zusätzlich eine Gruppe mit Menschen, die nicht in der Schweiz aufgewachsen sind, aber hier leben. Erkenntnisse aus diesen qualitativen Befragungen flossen in die Gestaltung einer zweiten, quantitativen Befragung ein. Diese wurde online mit 3000 Menschen in der deutsch-, französisch- und italienischsprachigen Schweiz durchgeführt, repräsentativ für Landesteile, Altersgruppen und Geschlechter. Zusätzlich zum Interview und zur Umfrage wurde eine Interventionsstudie durchgeführt, in der Teilnehmende gebeten wurden, eine Freundin oder einen Freund von früher anzurufen, zu dem oder der sie den Kontakt verloren hatten. 63 Teilnehmende beantworteten vorab Fragen dazu, wie sie sich die Interaktion vorstellten, und danach, wie das Gespräch tatsächlich verlief.

“Auch in der Sozialdiakonie stellen wir eine zunehmende Tendenz zur Vereinsamung von Menschen fest – und zwar unabhängig von Altersgruppen”, so Beat Maurer, Präsident des Ausschusses der Diakonie Schweiz. “Wir meinen, dass die kirchliche Diakonie vielfältige Potenziale hat, um der Vereinsamung entgegenzuwirken. Da sind einmal die Sozialdiakoninnen und -diakone, die mit ihren animatorischen Kompetenzen die Menschen im Dorf oder Quartier auf vielfältige Weise untereinander in Kontakt bringen können. Dann engagieren sich viele Kirchgemeinden auch im Sinne der ‘Caring communities’, die zum Zweck haben, die Menschen vor Ort miteinander zu verbinden, um Unterstützungsbedarfe zu erkennen, um kleine Hilfetätigkeiten zu bieten, aber auch schlicht für den zwischenmenschlichen Kontakt – auch das trägt zur Verbindung von Einsamkeit bei.”