Studie: Schweizer Jugendliche – mehr Straftaten, häufiger Opfer

Studie: Schweizer Jugendliche – mehr Straftaten, häufiger Opfer

Mehr Jugendliche in der Schweiz haben Gewalt ausgeübt oder selbst erfahren, so eine Studie, die schweizweit über 11'000 Schülerinnen und Schüler befragt hat.

Im Vergleich zu 2013 hätten 2021 mehr Jugendliche angegeben, in ihrem Leben schon einmal ein Delikt verübt oder Opfer eines Deliktes geworden seien, so eine Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW und der Fachhochschule Westschweiz.

So hätten 29 gegenüber 16 Prozent angegeben, in ihrem Leben schon einmal einen Ladendiebstahl begangen zu haben. Zu Vandalismus hätten sich 15 gegenüber 11 Prozent bekannt, über 14 statt 11 Prozent hätten schon einmal eine Waffe mit sich getragen. Zudem seien mit 2,3 gegenüber 1 Prozent auch mehr schwerwiegende Raubdelikte begangen worden.

Erstmals seien die Jugendlichen auch zu online ausgeübten Taten befragt worden. Dabei hätten 8 Prozent angegeben, mindestens einmal in ihrem Leben eine Hassnachricht verschickt zu haben, über 4 Prozent hätten jemanden im Internet sexuell belästigt.

Die Rate der Jugendlichen, die in ihrem Leben schon einmal Opfer eines Deliktes geworden seien, sei deutlich angestiegen, so die ZHAW in einer Meldung zur Studie. Dies geschehe am häufigsten bei einfachen Diebstählen mit 43 gegenüber 36 Prozent, bei elterlicher Gewalt wie Schlagen, Ohrfeigen und Stossen mit 33 Prozent und Drohungen in sozialen Netzwerken mit 19 gegenüber 16 Prozent. Fast 9 gegenüber 4 Prozent der Jugendlichen hätten schon einmal einen körperlichen Angriff erfahren.

Rund 12 gegenüber 7 Prozent hätten 2021 zudem angegeben, schon Opfer eines Verbrechens aus Feindseligkeit oder Vorurteilen gegenüber Menschen anderer Herkunft, Hautfarbe, Religion oder sexueller Orientierung geworden zu sein. 19 Prozent hätten bereits Bedrohungen auf Sozialen Medien erfahren. 8 Prozent hätten berichtetet, dass ein intimes Foto oder Video gegen den eigenen Willen in Sozialen Medien gepostet oder weitergeschickt wurde.

Trotz der Zunahme würden die meisten Straftaten von einem geringen Prozentsatz der Jugendlichen begangen, so die Meldung. Demnach begingen 5 Prozent der Jugendlichen drei Viertel aller berichteten Straftaten. Gute Interventions- und Präventionsprogramme seien für diese Jugendlichen zentral.

In Bezug auf das Geschlecht zeige sich, dass Jungen mehr Delikte begingen als Mädchen, insbesondere Gewaltdelikte und Diebstahl. Jungen seien teilweise markant überbelastet: um den Faktor 9 bei Autodiebstahl und je 3 bei Raub, Einbrüchen und Körperverletzungen. Diese Überrepräsentation der Männer bei der Begehung bestimmter Delikte stehe in Einklang mit der bisherigen Forschung, so die Studie. Es sei allgemein bekannt und in allen bisherigen Studien bestätigt, dass Jungen insgesamt mehr Straftaten als Mädchen begingen.

Allerdings gebe es auch deutliche Unterschiede in Bezug auf die Art der Straftaten. Jungen seien bei Gewaltdelikten besonders überrepräsentiert, während die Unterschiede bei Bagatelldelikten wie Ladendiebstahl oder Schwarzfahren deutlich geringer oder gar nicht vorhanden seien. Gründe für diese Geschlechterunterschiede gibt es laut Studie viele.

Eine Erklärung verweise darauf, dass Jungen eher dazu neigten, ihre Frustrationen und Aggressionen nach aussen zu richten, was zu einer Externalisierung ihrer Gewalt führen könne, während Mädchen eher dazu neigten, ihre Wut gegen sich selbst zu richten und dadurch psychische Probleme hervorriefen.

Eine andere Erklärung mache unterschiedliche Erziehungsstile für Mädchen und Jungen dafür verantwortlich. So werde in der Erziehung von Mädchen Anpassung, Einfühlungsvermögen und manchmal sogar Unterwerfung vermittelt, in der von Jungen eher Risikobereitschaft, das Bedürfnis, sich Respekt zu verschaffen, und sogar Aggressivität.

Würden die Opferraten nach zentralen sozio-demografischen Merkmalen unterschieden, zeige sich mit Blick auf das Geschlecht, dass Jungen vor allem bei Gewaltdelikten wie Körperverletzung und Raub stärker betroffen seien als Mädchen. Demgegenüber seien Mädchen besonders häufig Opfer von Online-Hassverbrechen, leichter häuslicher Gewalt und sexueller Belästigung im Internet.

Jungen seien ausserdem eher Opfer von Gewalt und Übergriffen im öffentlichen Raum, während Mädchen eher Opfer von Gewalt im privaten Raum, Online-Delikten und elterlicher Gewalt würden, so die Studie.

Die Studie beschäftigte sich ausserdem mit den Risikofaktoren für Jugendkriminalität in der Schweiz. Der Umgang mit delinquenten Gleichaltrigen gehört demnach zu den höchsten Risikofaktoren für Jugendkriminalität. Wer delinquente Freunde habe, habe je nach Delikte ein drei- oder gar siebenfaches Risiko, Straftaten zu begehen, so die Studie. Die Zugehörigkeit zu einer Bande von jugendlichen Straftätern sei ebenfalls stark mit einem höheren Delinquenzrisiko verbunden.

Zudem begingen Jugendliche mit einem geringen Mass an Selbstkontrolle eher Straftaten als andere Jugendliche, bilanziert die Studie weiter. Ebenso häufiger delinquent seien Jugendliche, deren Eltern ein geringes Mass an Kontrolle oder Aufsicht über ihre Kinder ausübten. Umgekehrt gelte auch, dass Eltern, die wissen wollten, was ihr Kind macht, wo es sich aufhält und mit wem es unterwegs ist, zu einem gewissen Grad verhindern, dass ihr jugendlicher Nachwuchs in Delinquenz verwickelt wird.

Weiter sei elterliche Gewalt gegen Kinder ein bedeutender Faktor für Jugendkriminalität. Eltern, die ihre Kinder misshandelten, gefährdeten einerseits deren Bindung an sie, was Jugendliche eher zu Delinquenz greifen lasse. Andererseits würden gewalttätige Verhaltensmuster von den Eltern erlernt, was bei Jugendliche vor allem zu mehr Gewaltausübung führen könne.

Da die Befragung der Studie zwischen März und Juli 2021 stattgefunden hat, stellen die Autorinnen und Autoren Überlegungen zum Einfluss der Corona-Pandemie auf die Befragungsergebnisse an. Einerseits bedeuteten die pandemiebedingten Einschränkungen das Erleben von mehr Stress für Jugendliche auf vielerlei Ebenen, so die Studie. Stress könne die Tatbereitschaft erhöhen und damit das Risiko für Delinquenz steigern.

Andererseits habe sich gezeigt , dass Kinder und auch Jugendliche während der Corona-Pandemie vermehrt zu Hause blieben und mehr Zeit online verbrachten. Dies würde aufgrund geringerer Gelegenheiten eine Senkung der Delinquenz bedeuten, vor allem jener Delikte, die persönliche Begegnungen erforderten, wie interpersonelle Gewalt. Gleichzeitig hätten häufigere Online-Aktivitäten aber auch die online verübten Delikte fördern können, wie Drohungen in Sozialen Medien, Hate Crime, sexuelle Belästigungen oder Cybercrime. Welche Einflüsse tatsächlich wirksam geworden seien und ob die Einflüsse sich gegenseitig ausgeglichen hätten, müsse offen bleiben. Abschliessend könne festgehalten werden, dass über die Einflüsse der Corona-Schutzmassnahmen auf das Delinquenzverhalten Jugendlicher nur Vermutungen angestellt werden könnten, die es anhand weiterer Daten künftig zu plausibilisieren gelte.