Extreme Hitze in Griechenland und Italien, Sturzfluten und Überschwemmungen in Deutschland und der Schweiz, Waldbrände am Mittelmeer: die vergangenen Wochen bauten sich auf als gewaltige Drohkulisse, die ganz aktuell in ihrer ganzen Tragweite bestätigt wurde. So legte der Weltklimarat IPCC nun seinen neuesten Bericht vor.
„Seit dreissig Jahren warnt der IPCC vor den Folgen der Klimaerwärmung“, so Inger Andersen, Geschäftsführerin des United Nations Environment Programmes. „Die Welt hört zwar zu, aber sie scheint nicht zu verstehen. Sie reagiert nicht adäquat.“ Dabei sei das Ausmass der jüngsten Veränderungen im gesamten Klimasystem seit Jahrtausenden beispiellos.
230 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 66 Länder sind sich einig. Es sei wissenschaftlich unstrittig, dass der Klimawandel menschengemacht sei, lautet das Fazit der Pressekonferenz zum Bericht. Laut wissenschaftlicher Erkenntnisse ist es Tatsache: Die CO2-Konzentration ist so hoch ist wie seit zwei Millionen Jahren nicht, der Meeresspiegel steigt so rasant wie seit 3000 Jahren nicht, das Niveau des arktischen Eises ist so tief wie seit 1000 Jahren nicht, und die Gletscher schmelzen so rasant wie seit mindestens 2000 Jahren nicht.
Auch die Schweizerische Akademie der Wissenschaften ist sich sicher, dass danke mehr Daten, besserem Verständnis der physikalischen Prozesse und verbesserter Modelle die Sicherheit vieler Aussagen gegenüber dem letzten Bericht deutlich gestiegen ist.
Hitzewellen nehmen zu, Temperaturspitzen schnellen in die Höhe, Starkregen wird intensiver, und immer häufiger treten Wetterextreme kombiniert auf. Und: der Klimawandel beschleunigt sich. So stieg der Meeresspiegel zwischen 1970 und 2006 pro Jahr um 1,9 Millimeter, seither doppelt so schnell. Die globale Durchschnittstemperatur stieg seit 1850 um 1,1 Grad, während sie allein in den letzten sieben Jahren um 0,2 Grad stieg.
Präventive Diakonie für den Klimaschutz
„Nach diesem doch ziemlich besonderen Sommer, hat der neue IPCC-Bericht meine eigene, subjektive Wahrnehmung bestätigt – die Klimaerhitzung ist da und spitzt sich zu“, so Kurt Zaugg-Ott, Fachstellenleiter von oeku Kirchen für die Umwelt, gegenüber diakonie.ch. Zum Handeln aufgefordert seien alle, und zwar dringend. Zum Klimaschutz könnten alle etwas beitragen – im persönlichen Bereich, in den Institutionen und bei politischen Entscheidungen. Es brauche einen Ruck durch die Gesellschaft, so der Leiter des Vereins, der sich für Nachhaltigkeit und umweltbewusstes Handeln in Kirchgemeinden, Pfarreien und kirchlichen Institutionen in der Schweiz einsetzt.
Einzelne Kirchen und Kirchgemeinden zeigen, wie es gehen könnte, so Zaugg-Ott: „Sie nehmen fossile Heizungen ausser Betrieb und ersetzen sie durch klimaverträgliche Systeme. Andere führen ein umfassendes Umweltmanagement wie den Grünen Güggel ein. Wenn wir handeln, geben wir der Zukunft eine Chance. «Dennoch hoffen» war mal das Motto der Schweizerischen Evangelischen Synode. Daran sollten wir uns orientieren. Das wäre doch auch im Sinne «präventiver Diakonie», die sich für Klima- und Umweltschutz einsetzt, damit die Lebensgrundlagen erhalten werden“.
Die Extreme gefährden die Menschen
Früher habe man über mögliche Zukunftsszenarien gesprochen, so Erich Fischer, ETH-Forscher und Mitautor des IPCC-Berichts, gegenüber der SRF-Tagesschau. Der aktuelle Bericht mache klar: wir stecken mitten drin.
Es sind jedoch besonders die extremen Ausschläge, die Menschen gefährden, so der Bericht. Bislang undenkbare Extremereignisse könnten dann bald zum alltäglichen Wetter gehören und kombiniert auftreten. Wenn dann die wichtigen Weizenanbaugebiete in Europa, Asien und den USA gleichzeitig von Hitze und Dürre heimgesucht würden, könnte die Nahrungssicherheit vielleicht nicht garantiert sein, so Klimaforscherin Sonia Seneviratne.
Wie sehen mögliche Zukunftsszenarien aus? Die Erde wird in allen Szenarien wärmer, vielleicht um mehr als 2 Grad. Um dies noch abzuwenden, müssten die CO2-Emissopnen sofort drastisch reduziert werden. Mehr Hitzeextreme, Starkniederschläge, Dürren, Wirbelstürme und gleichzeitig weniger arktisches Meereis, Schnee und Permafrost – auch dies scheint kaum mehr abwendbar. Im Jahr 2050 müssten dafür die globalen CO2-Emissionen netto Null erreichen.
Beim pessimistischsten Modell des Berichtes erhöht sich die Temperatur sogar um 4,5 Grad, im Extremfall um bis zu 5,7 Grad. Gemessen am Modelldurchschnitt von 1,5 Grad bedeutete jedes zusätzliche halbe Grad mehr und häufigere Hitzeextreme, Starkniederschläge und Dürren.
Ausserdem können besonders bei stärkerer globaler Erwärmung auch bislang unwahrscheinliche, aber katastrophale Ereignisse nicht ausgeschlossen werden. Dazu zählen starke Veränderungen in der räumlichen Verteilung von Niederschlagsmustern sowie der Zusammenbruch der Eisschilde der Arktis und Antarktis, was einen Meeresspiegelanstieg um mehrere Meter verursachen würde.
Unumkehrbar und teuer
Eine weitere Erkenntnis des Berichtes ist beunruhigend: „Viele Veränderungen aufgrund vergangener und künftiger Treibhausgasemissionen sind über Jahrhunderte bis Jahrtausende unumkehrbar“, heisst es.
Was heisst das alles für Europa, ganz konkret für die Schweiz, für Österreich oder Deutschland? Hitzewellen und Starkregen werden zunehmen. Ein Jahrhundertsommer wie 2003 könnte alle paar Jahre auftreten, die Landwirtschaft oder bestimmte Waldarten könnten an ihre Grenzen kommen, fasst dies SRF-Wissenschaftsredaktor Thomas Häusler zusammen. Neu sei vor allem auch, dass künftig besonders verletzliche Bevölkerungsgruppen vor immer mehr und immer grösseren Extremereignissen geschützt werden müssten.
Wärmere Luft, so Häusler, könne mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Nicht nur aus dem Meer, sondern auch aus Äckern und Waldböden. Das könne zu Trockenheit und Dürren führen. Ein andermal prassele die zusätzliche Feuchtigkeit in der Atmosphäre als Starkregen auf den Kopf und überflute das Haus. „Und weil mit zunehmender Erwärmung solche extremen Ereignisse häufiger werden, folgt auf eine monatelange Trockenheit, die Bauern verzweifeln lässt, manchmal kurz darauf eine Sturzflut – so wie 2018 im Tessin.“
Wenn künftig an vielen Orten mehrere Gefahren drohten, werde die Anpassung sehr anspruchsvoll und oft auch teuer, so Häusler weiter. Doch die Erfahrung zeige: Anpassung lohne sich. So habe die Schweiz die Hochwasser diesen Sommer auch relativ gut gemeistert, weil sie nach den grossen Flutschäden vor einigen Jahrzehnten kräftig investiert habe. Auch auf Hitzewellen könne man sich vorbereiten und damit viele Leben retten, wie Studien zeigten.
Am stärksten jedoch leiden diejenigen unter den Folgen, die am wenigsten dazu beigetragen haben, so Dagmar Pruin, Präsidentin Brot für die Welt, zum IPCC-Bericht. Klimabedingte Schäden und Verluste seien insbesondere in den Ländern des globalen Südens bereits an der Tagesordnung und verschärften Hunger, Gesundheitsrisiken und Gewaltkonflikte. Die Klimafrage sei die grosse Gerechtigkeitsfrage unserer Zeit.
Der Bericht führe vor Augen, dass die Zeit für die Rettung des Planeten, wie wir ihn kennen, ablaufe, äussert sich die deutsche Bundesumweltministerin Svenja Schulze. Viele Klimawandelfolgen könnten schon nicht mehr vermieden werden. Klimaschutz sei deshalb eine überlebensnotwendige Aufgabe.
Das ist auch das Fazit von Thomas Häusler: Je länger man damit warte, den CO2-Ausstoss wirklich zu senken, desto schwieriger und teurer werde die Anpassung: „Jeder Franken, den wir in den Klimaschutz stecken, spart Geld bei der Anpassung.“