Vom Messen und Vermessen kirchlich-diakonischer Leistungen

Vom Messen und Vermessen kirchlich-diakonischer Leistungen

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Vom Messen und Vermessen kirchlich-diakonischer Leistungen

Die Kirchen sind ihr Geld wert. Das ist die kürzestmögliche Zusammenfassung einer 170-seitigen Studie der Universität Zürich, die vor einigen Tagen vorgestellt wurde. Und: Die Menschen schätzen die diakonischen Leistungen der Kirchen. Diese positive Wirkung darf aber nicht dazu führen, dass die Diakonie zum „Feigenblatt“ der Kirchen in der Öffentlichkeit wird.

Die fünf anerkannten Religionsgemeinschaften in Zürich erhalten jedes Jahr 50 Millionen Franken vom Kanton. Wobei sich die Reformierten und die Katholiken 49,5 Millionen davon teilen. Der Rest entfällt auf die Christkatholiken, die Israelitische Kultusgemeinde und die Jüdische Liberale Gemeinde.

Wohlgemerkt erhalten die Religionsgemeinschaften dieses Geld zusätzlich zur Kirchensteuer. Der Kanton entnimmt es aus eigenen Steuermitteln und stellt es den Empfängern zur Verfügung. Zürich möchte damit Tätigkeiten vor allem im Bereich Bildung, Soziales und Kultur fördern. Es gehe um Leistungen für die gesamte Bevölkerung, die dem sozialen Frieden dienen, so äussert sich im Radio Regierungsrätin Jacqueline Fehr, die in Zürich für die Zusammenarbeit zwischen dem Staat und den kirchlichen Körperschaften zuständig ist. Umfang, Bedeutung und Qualität dieser kirchlichen Leistungen wurden nun mit der Studie erhoben.

Die Kirchen im Kanton Zürich leisten mehr an gesamtgesellschaftlichen Tätigkeiten als etwa die Caritas oder das Rote Kreuz.

Ergebnis

Die Kirchen erbringen „Tätigkeiten mit gesamtgesellschaftlicher Bedeutung“ im Wert von 62 Millionen Franken, also wesentlich mehr als sie vom Staat erhalten. 86‘000 Angebote der beiden grossen kantonalen Landeskirchen wurden dabei untersucht. Heraus kam auch, dass die Kirchen rund 1,9 Millionen Arbeitsstunden auf freiwilliger Basis erbringen, was 850 Vollstellen entspräche.

Die Summe aller diakonischen Tätigkeiten aus Landeskirchen, regionalen Fachstellen und Kirchgemeinden macht die Kirche zu einem wichtigen sozialen Akteur. Vergleicht man die monetarisierte Summe der Leistungen mit denen weiterer sozialer Akteure, wird deutlich, dass die reformierten Kirchen im Kanton Zürich mehr an gesamtgesellschaftlichen Tätigkeiten leisten als etwa die Caritas oder das Rote Kreuz im selben Gebiet.

„Gesamtgesellschaftliche Bedeutung“ hat ein Projekt übrigens dann, wenn es sich an alle Menschen unabhängig von ihrer Kirchen- und Religionszugehörigkeit wendet und auch Nichtmitglieder der Landeskirchen erreicht. Entsprechend freut sich Michel Müller, Kirchenratspräsident der Zürcher Reformierten: „Die Leistungen der Kirchen zugunsten der Allgemeinheit beruhen nun nicht mehr auf Schätzungen, die man anzweifeln kann, sondern auf einer wissenschaftlichen Grundlage.“ Man sei froh über diese Objektivität.

Aber

So verlockend der Blick auf die Zahlen sei, so wichtig seien weitere Aspekte für eine Bemessung der Bedeutung kirchlicher Leistungen, so Simon Hofstetter, Geschäftsführer der Diakonie Schweiz: die inhaltlich-programmatische Ausrichtung der Leistungen, ihre Qualität, ihre kritische Distanz zu staatlichem Handeln.

Schliesslich könne die ökonomische Betrachtungsweise dem Verständnis eines „Leistungsvertrages“ Vorschub leisten. Gerade das soziale Handeln der Kirchen unterliege jedoch Bedingungen, die keinesfalls nach der Logik eines solchen Vertrages funktionierten, so Hofstetter: „Die Kirchen sollen frei und flexibel genug sein, um sich nach eigener Beurteilung in sozialen Brennpunkten und Notlagen zu engagieren.“

Witikon; Wikimedia/Roland zh

Schliesslich

Die vom Institut für Politikwissenschaft der Uni Zürich unter der Leitung von Thomas Widmer durchgeführte Studie hat unter anderem Gemeindeschreiberinnen und –schreiber der politischen Gemeinden sowie die Zürcher Bevölkerung befragt, was die Kirchen ihrer Meinung nach leisten sollten. Genannt wurden Angebote für Seniorinnen und Senioren, sozial Schwache und Armutsbetroffene sowie Kinder und Jugendliche. Angebote für Migrantinnen und Migranten und Fremdsprachige sind ebenso erwünscht.

Die Zürcherinnen und Zürcher schätzen das soziale Engagement der Kirchen, also die Tätigkeiten der sozialdiakonischen Mitarbeitenden in den Gemeinden, die Suppenküchen, Mittagstische, Sprachkurse, Migrantenprojekte und die Obdachlosenarbeit, die Notfall-, Spital- oder Gefängnisseelsorge. Die Kirche aktiviere und motiviere zudem viele Menschen, sich freiwillig zu engagieren, betont Jacqueline Fehr.

Die Studie belegt ein weiteres Mal das bekannte Faktum, wonach die Kirchen insbesondere aufgrund ihrer diakonischen Leistungen in der Gesellschaft einen grossen Rückhalt geniessen. Diese positive Wirkung diakonischer Leistungen darf aber nicht dazu führen, dass die Diakonie zum „Feigenblatt“ der Kirchen in der Öffentlichkeit wird.

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