Anlässlich des World Health Summit vom 24. bis 26. Oktober in Berlin forderten die beiden großen deutschen kirchlichen Werke der Entwicklungszusammenarbeit Brot für die Welt und Misereor schnelle und umfassende Lieferungen von Impfstoffen in finanzschwache Länder, sowie den Aufbau von Produktionskapazitäten in Ländern des Globalen Südens. Neben den schweren gesundheitlichen Folgen hat die Pandemie zu extremen wirtschaftlichen Folgen mit einer Zunahme an Hunger und Armut geführt, so die Werke. Eine hohe Impfquote wird auch den wirtschaftlichen Aufschwung ermöglichen.
Man erwarte eine klare Botschaft zur Lösung der Bekämpfung der Corona-Pandemie insbesondere für die Länder mit geringer Kaufkraft. „Ein Ende der Pandemie und das Verhindern neuer, impfresistenter Mutationen kann nur erreicht werden, wenn die Verteilung der Covid-19-Impfstoffe schnell erfolgt und gerechter gestaltet wird und insbesondere vulnerable Gruppen weltweit versorgt werden. Es ist viel zu viel Zeit vergangen, die Tausende Menschen das Leben gekostet hat“, erklärte Misereor-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel.
Die größten Wirtschaftsnationen besitzen die politischen, medizintechnologischen und finanziellen Mittel, um den globalen Krankheitsausbruch von SARS-CoV-2 schnellstmöglich zu beenden, so die Mitteilung weiter. Allein die Tatsache, dass diese Nationen seit Pandemiebeginn mehr als 12 Billionen US-Dollar in ihre Volkswirtschaften investierten, während nur wenige Hundertstel dieses Betrags für die weltweite Finanzierung aller benötigten Impfstoffe gegen Covid-19 ausreichen, zeige dies deutlich.
„Abgesehen von den in ihrem Ausmaß noch nicht abschätzbaren gesundheitlichen Spätfolgen für die Menschen, die an COVID erkrankt sind, und den hohen ökonomischen Kosten für die Volkswirtschaften, hat die Pandemie immense Auswirkungen auf wichtige Basisgesundheitsprogramme wie HIV/AIDS, Tuberkulose, Routineimpfungen oder die Mutter-Kind-Gesundheit“, sagt Gisela Schneider, Leiterin des Deutschen Instituts für ärztliche Mission. Wegen der Pandemie sind etwa 120 Millionen Menschen zusätzlich in extreme Armut gefallen und die Anzahl an Kindern und Erwachsenen, die mangelernährt sind, befindet sich mit 2,38 Milliarden auf einem Allzeithoch.
Trotzdem erfolgte die globale Verteilung der Impfstoffdosen bisher nach der Wirtschaftskraft der entsprechenden Länder und nicht nach medizinischem Bedarf. „Die wirtschaftsstärksten Länder haben sich sogar so viele Impfstoffdosen gesichert, dass nach heutigem Stand bis Ende des Jahres circa 100 Millionen Dosen aufgrund verfallender Haltbarkeit vernichtet werden müssen. Gegenwärtig sind in Deutschland 65,9 Prozent der Bevölkerung komplett geimpft, während dieser Wert für Afrika bei nur 5,23 Prozent liegt. In den ärmsten Staaten der Welt sind sogar weniger als ein Prozent der Menschen vollständig immunisiert“, erklärt Michael Kuhnert, Geschäftsführer des Missionsärztlichen Instituts.
„Wir erhoffen uns ein starkes Signal vom World Health Summit an die wohlhabenden Länder, ihre versprochenen Impfstoffspenden so schnell wie möglich zu liefern. Das muss jetzt oberste Priorität haben – denn die Pandemie besiegen wir nur global oder gar nicht“, sagt die Präsidentin von Brot für die Welt, Dagmar Pruin. „Zudem müssen bestehende Exportbeschränkungen aufgehoben werden, damit COVAX und die entsprechende Initiative der Afrikanischen Union auch bereits vertraglich zugesicherte Impfstoffdosen erhalten. Hier darf es keine weiteren Verzögerungen geben.“ Zusätzlich sollten die Herstellerfirmen aufgefordert werden, ihre Bestellungen und Auslieferpläne transparent darzulegen. Nur so kann eine effiziente Planung international koordiniert und mit den globalen Impfzielen abgestimmt werden.
Langfristig müssen Grundlagen gelegt werden, damit die Kapazität zur Herstellung von Impfstoffen gegen COVID-19 auch in wirtschaftlich armen Ländern aufgebaut wird. Die von der WHO geschaffenen Strukturen wie C-Tap (Covid 19 Technology Access Pool) sollten gestärkt und die Pharmaindustrie dazu bewogen werden, Fortschritte in Forschung und Entwicklung zugänglich zu machen und zu teilen, damit der weltweite Zugang zu Impfstoffen nachhaltig gesichert werden kann.
Ausweitung der Impfstoff-Produktionslizenzen gefordert
Die Ausweitung der Produktion neuer Medikamente und die Vergabe neuer Lizenzen waren entscheidend im Kampf gegen den HIV. Daraus sollten Lehren gezogen werden, so Brot für die Welt angesichts Corona.
Es habe viele Jahre gedauert, bis rund zwei Drittel der Menschen mit HIV Zugang zu einer lebensrettenden Therapie erhalten haben, so Brot für die Welt in einer Medienmitteilung. Entscheidend sei gewesen, dass durch die Ausweitung der Produktion neuer AIDS-Medikamente und damit einhergehend die Vergabe von Produktionslizenzen an einen Patentpool die Preise für AIDS-Medikamente deutlich reduziert werden konnten.
Das Deutsche Institut für Ärztliche Mission e. V. Difäm und Brot für die Welt forderten daher aus Anlass der 11. Internationalen HIV-Konferenz, zur Eindämmung der Corona-Pandemie Lehren aus der HIV-Epidemie zu ziehen. Der Patentschutz und der Schutz weiterer geistiger Eigentumsrechte auf Covid-19-Impfstoffe, Diagnostika und Medikamente sollten vorübergehend ausgesetzt werden, so die Mitteilung. Wissen und Technologien zur Herstellung der notwendigen Produkte sollten in den dafür vorgesehenen Patentpool eingespeist werden.
Mehr als 34 Millionen Menschen seien bis heute an AIDS-bedingten Erkrankungen gestorben. Bislang seien weltweit fast vier Millionen Menschen, die sich mit dem Corona-Virus infiziert hatten, gestorben. Man habe die Chance, Millionen Menschenleben zu retten, wenn alle Menschen jetzt Zugang zu Impfstoff bekämen.
Doch die Impfstoffe seien knapp und teuer, und der Zugang zu Tests, Sauerstoff und lebensrettenden Medikamenten sei eng limitiert. Gegen Corona seien in Afrika bisher nur ein Prozent der Bevölkerung zweifach und damit vollständig geimpft. Patente und der Schutz von weiterem geistigen Eigentum dürften dem weltweiten Zugang zu lebensrettenden Medikamenten und Präventionsmaßnahmen wie Tests und Impfungen nicht im Weg stehen, so die Mitteilung.
Die internationale Gemeinschaft müsse eine bessere Gesundheitsversorgung neben der Vorbeugung zukünftiger Pandemien höher als bisher auf die Agenda setzen. Viel zu lang seien die gesundheitlichen Bedürfnisse von Millionen von Menschen vernachlässigt worden.
Aufruf zu Impfsolidarität mit armen Ländern
In den 50 reichsten Ländern der Welt ist die Covid-19-Impfrate 27 Mal höher als in den 50 ärmsten Ländern, so das Schweizerische Rote Kreuz SRK, das zu Solidarität und zum Spenden aufrief, damit auch arme Länder ihre Bevölkerung schützen können.
In Nepal, einem Einsatzland des SRK, sei nur ein Prozent der Menschen geimpft und das Gesundheitssystem komplett überlastet, so das SRK in einer Medienmitteilung. In Afrika hätten manche Länder noch gar keine Vakzine. Ohne massive internationale Unterstützung werde es wohl Ende 2023, bis südlich der Sahara ein massgeblicher Teil der Menschen Impfschutz geniesse.
Die 50 ärmsten Länder, in denen 17 Prozent der Weltbevölkerung leben, hätten bis Sommer 2021 lediglich 2 Prozent des weltweit verfügbaren Impfstoffes erhalten. Während die reichen Länder sich den Grossteil der knappen Impfstoffe gesichert hätten, könnten ärmere Länder nicht einmal ihr Gesundheitspersonal impfen.
Das SRK fordert, diese Missstände zu beheben. Es ruft zu Solidarität auf und setzt sich dafür ein, dass alle Menschen einen fairen Zugang zu Impfstoff, Medikamenten und Testmaterial haben, so die Mitteilung weiter. Neben der gerechten Verteilung des Impfstoffes gehöre auch dazu, dass ärmere Länder bei der Umsetzung von Impfkampagnen unterstützt würden.
Impfgerechtigkeit sei nicht nur eine Frage der Solidarität, sondern auch ein Gebot der Vernunft. Auch wenn sich in der Schweiz dank steigendem Impfschutz und sinkenden Fallzahlen die Lage etwas normalisiert habe: Angesichts immer neuer Mutanten sei die Gefahr noch längst nicht gebannt. Solange die Pandemie nicht weltweit unter Kontrolle sei, seien die gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen auch für die Schweiz nicht absehbar. Der Schutz von Leben, Gesundheit und Würde der Menschen dürfe nicht an den Grenzen der reichsten Länder Halt machen.
Die Corona-Pandemie könne nicht in einem einzelnen Land überwunden werden. Es brauche einen globalen Effort. Dazu gehöre auch die vorübergehende Aufhebung des Patenschutzes unter der Voraussetzung, dass die Investitionen in die Forschung angemessen entschädigt würden. Nur mit grenzüberschreitender Solidarität und dem Engagement aller Akteure auf politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene könne das Virus wirksam bekämpft werden.
Nobelpreisträger für Freigabe von Impfstoff-Lizenz
Mehr als 400 Abgeordnete des EU-Parlaments und anderer Parlamente, 175 Nobelpreisträgerinnen und -träger sowie tausende zivilgesellschaftliche Akteure unterstützen bereits im April 2021 eine Forderung nach einem Aussetzen der Lizenzen für Corona-Impfstoffe.
Die europäische Kommission und die EU-Mitgliedsstaaten ignorierten weiterhin die Forderungen nach einer Aussetzung des Patents, die die weltweite Produktion und Verfügbarkeit von Covid-19-Impfstoffen und notwendiger Ausrüstung deutlich erhöhte.
Im Frühjahr hatten laut Meldung fast 400 Abgeordnete des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente der EU einen gemeinsamen Aufruf unterzeichnet, in dem sie ihre eindeutige Unterstützung für die Maßnahme zum Ausdruck bringen und die Aufrufe von 175 Nobelpreisträgern und ehemaligen Staats- und Regierungschefs, des Generaldirektors der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Wissenschaftlern, Gewerkschaften, NGOs und der breiten Öffentlichkeit unterstützen.
Die Unterstützung der Lizenz-Aussetzung wäre eine der wirksamsten und effektivsten Möglichkeiten für Regierungen, ihr Engagement für die globale Zusammenarbeit zu demonstrieren und den weltweiten Zugang zu Impfstoffen zu verbessern, so Brot für die Welt. Es sei offensichtlich, dass es aufgrund begrenzter Herstellungskapazitäten sowie anderer Herausforderungen für die Lieferkette unzureichende Impfstoffdosen gebe. Erfahrungsgemäß könnten und würden freiwillige Mechanismen nicht die für die Bewältigung dieser Herausforderung erforderliche Steigerung der Produktion und des Technologietransfers fördern.
Wenn die Situation unverändert bleibe, bestimmten die Interessen und Profite der Wenigen das Schicksal der Meisten. Wie der Generaldirektor der WHO gesagt habe, seien wir dem Risiko eines katastrophalen moralischen Versagens ausgesetzt.v