Wie wird Freiwilligenarbeit professionalisiert?

Wie wird Freiwilligenarbeit professionalisiert?

Mit einer Tagung zu Freiwilligenarbeit in der Kartause Ittingen gibt die Evangelische Landeskirche des Kantons Thurgau Antworten darauf, welche Erwartungen Freiwillige mitbringen sollen. Empfohlen wird der Leitfaden zur Freiwilligenarbeit verschiedener Kantonalkirchen.

An der 2. Thurgauer Tagung «Kirche der Freiwilligen» vom 23. März 2024 in der Kartause Ittingen lernten die 24 Teilnehmerinnen und Teilnehmer Bausteine kennen, um ein Konzept für die Freiwilligenarbeit zu erarbeiten, so die Evangelische Landeskirche des Kantons Thurgau in einem Bericht auf ihrer Internetseite.

Die Leitung der Evangelischen Landeskirche Thurgau sei der Auffassung, dass die Partizipation von Gemeindegliedern für die zukünftige Entwicklung der Kirche von entscheidender Wichtigkeit ist, heisst es in den Vorbereitungsunterlagen zur Tagung. Um in Zukunft ein lebendiges und aktives Gemeindeleben gestalten zu können, brauche es Kirchenmitglieder, die sich an der Basis engagierten.

Das Model «Beteiligungskirche/Kirche der Freiwilligen» könn dann ein zukunftsträchtiges Gemeindemodel sein, wenn angestellte und freiwillige Mitarbeitende einer Kirchgemeinde bereit seien, auf innovative Weise zusammenzuarbeiten, heisst es weiter. Die Kirchgemeinden müssten sich aufmachen, bestehende Freiwillige zu fördern und zu pflegen und neue aktive Gemeindeglieder zu finden.

Musik, Diakonie, Gastfreundschaft und Liturgie seien gute Felder für die Partizipation von Gemeindegliedern. Um dieses Ziel zu erreichen sei es hilfreich, wenn ein Freiwilligenkonzept vorliege, das die wichtigen Punkte benenne, auf die es zu achten gelte und die Rahmenbedingungen regele, damit der Einsatz der Freiwilligen wachsen und gedeihen könne.

Eine Ansprechperson für Freiwillige, eine Einführung in die Organisation und ein regelmässiger Austausch sind Erwartungen, die Freiwillige an Kirchgemeinden haben dürfen, so Maya Hauri Thoma, Fachbereichsleiterin Diakonie in der evangelisch-reformierten Kirche des Kantons St. Gallen, laut Bericht. Umgekehrt gebe es Verbindlichkeiten wie die Schweigepflicht oder eine rechtzeitige Information bei eigener Unzufriedenheit.

All diese Punkte sind im Leitfaden zur Freiwilligenarbeit der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz und verschiedener Kantonalkirchen aufgeführt. Dort findet sich auch ein Personalblatt für Freiwillige, das Fähigkeiten und berufliche Kenntnisse festhalten kann, aber auch Einsatzgebiete, die nicht in Frage kommen. Auch sei das Konzept von grossem Nutzen, wenn eine damit betraute Person die Behörde verlasse.

Jeweils mehrere Gemeinden haben sich laut Bericht im Thurgau zu Intervisionsgruppen zusammengeschlossen, um sich bei der Konzeptarbeit gegenseitig zu unterstützen.

Der Leitfaden zur Freiwilligenarbeit unterstützt Verantwortliche in ihrer wichtigen Aufgabe rund um verschiedenste Aspekte der Freiwilligenarbeit. Neben dem Informationsteil bieten die Arbeitsinstrumente mit Merkblättern, Checklisten, Mustervorlagen und Ideenlisten wertvolle Hilfsmittel für die konkrete Umsetzung. Diese sind auch online verfügbar und individuell anpassbar.

Der Erfolg der Tagung zeige sich darin, dass sich acht Kirchgemeinden für eine geführte Intervision gemeldet hätten, welche bis zur nächsten Tagung 2025 durchgeführt werden, so Daniel Frischknecht, Beauftragter für Mitarbeiterförderung der Evangelischen Landeskirche des Kantons Thurgau, der die Tagung gemeinsam mit Maya Hauri Thoma konzipiert hat.

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Klare Rahmenbedingungen und Gestaltungsspielraum gewünscht

Das grösste Bedürfnis der Freiwilligen sind laut Mitteilung der Reformierten Landeskirche Aargau klare Rahmenbedingungen bei gleichzeitigem Gestaltungsspielraum. Dies habe die Online-Konferenz mit rund 90 Personen im September 2023 ergeben. Zudem wünschen sich die Freiwilligen Begleitung und Coaching.

Hauptsorge der Angestellten und Ordinierten sei es, genug Freiwillige zu finden, so die Mitteilung weiter. Angst vor Überforderung sei bei allen Beteiligten eine weitere Sorge.

Diese Punkte müssten primär auf Gemeindeebene umgesetzt werden, so die Mitteilung. Dies könne durch die Einführung eines Freiwilligenkonzeptes geschehen. Die Landeskirche biete an, die Kirchgemeinden bei der Erarbeitung eines solchen Konzeptes zu unterstützen und individuell angepasste Massnahmen zur Werbung für die Freiwilligenarbeit zu erarbeiten.

Die Online-Konferenz mit dem Titel “Mehr als Kaffeekochen: Freiwilligenarbeit in der Kirche” fand laut Mitteilung im Rahmen des derzeitigen Reformprozesses der Landeskirche statt. Ein Punkt der Kirchenreform sei die Stärkung von Freiwilligen und Ehrenamtlichen in den Kirchegemeinden.

Freiwilligenarbeit angesichts Personalmangels

Rund 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen im Februar 2023 in der Kartause Ittingen zusammen, um mit Fachpersonen über freiwillige Engagements in der Kirche zu diskutieren.

Freiwilligenarbeit solle die bezahlte Erwerbsarbeit in der Kirche ergänzen. Dieses Engagement gehe jedoch weg vom Lücken füllen und hin zu mehr Mitbestimmung. Freiwillige brächten sich aktiv ein und gestalteten eine lebendige Kirche mit, so die Mitteilung.

Angesichts heutiger Lebensmodelle brauche es Flexibilität und Individualisierung. Freiwilligenarbeit in Kirchgemeinden bedinge eine gute Organisation, so die Mitteilung, die auch auf den Leitfaden Freiwilligenarbeit der Reformierten Kirchen hinwies.

Den Zeitgeist derzeitiger Störungen wie Personalmangel in der Kirche zu nitzen, sei Kulturgut für Freiwillige, so die Mitteilung weiter. In der Umsetzung von professioneller Mitarbeiterführung brauche es eine Ansprechperson, die sich für Freiwillige einsetze. Ohne Freiwillige stünde vieles in der Kirche still.

Der Personalmangel sei in den Kirchen sichtbar und werde bis ins Jahr 2030 markant zunehmen, so die Mitteilung. In einigen Jahren fehlten ebenso Katechetinnen und Katecheten wie Mesmerinnen und Mesmer.

Manifest für nationale Förderung von freiwilligem Engagement lanciert

Schon vor einigen Jahren forderten verschiedene Organisationen eine Förderung des freiwilligen Engagements auf nationaler Ebene. Freiwilliges Engagement müsse auch in Zukunft attraktiv und gesellschaftlich relevant sein, denn es trage massgeblich zum politischen, gesellschaftlichen, sozialen und kulturellen Funktionieren der Schweiz bei. Freiwilliges Engagement brauche eine Ansprechstelle auf nationaler Ebene, öffentliche Anerkennung, den Abbau von administrativen und gesellschaftlichen Hindernissen und ein Anrecht auf unbezahlten Freiwilligenurlaub oder ein freiwilliges soziales Jahr.

Dies fordern 28 Organisationen in einem gemeinsamen Manifest, das bereits 2020 an Nationalratspräsidentin Isabelle Moret übergeben wurde. Anlass war die Jahrestagung des Netzwerks freiwillig engagiert.

Auch in Krisen wie der Corona-Pandemie spielen Freiwillige eine tragende Rolle für die Gesellschaft, so die Mitteilung. Freiwilliges Engagement sei jedoch keine Selbstverständlichkeit. Die demographische Entwicklung, ein zunehmender Bedarf an freiwillig erbrachten Leistungen und der Wunsch nach flexibleren Einsätzen stellten künftig grosse Herausforderungen zur Deckung des Bedarfs and Freiwilligeneinsätzen dar. Das Manifest solle diesen Herausforderungen begegnen, damit freiwilliges Engagement auch künftig attraktiv sei.

In der Freiwilligenarbeit kommen Menschen mit verschiedensten soziodemographischen Hintergründen zusammen und arbeiten auf gemeinsame Ziele hin, so das Manifest. Dies trage zur Verknüpfung unterschiedlicher Bevölkerungsschichten bei, schaffe Vertrauen und Verständnis und fördere die soziale Integration sowie den Zusammenhalt.